Lieber Dr. Schnitzler, sehr guter Freund
Haben Sie Dank für Ihre Zeilen. Was habe ich nicht alles erlebt seit ich Sie sah.
Jetzt liege ich wieder zu Bett; die Venenentzündung ist zurückgekehrt.
Ich blieb ein halbes Jahr in
Italien, kam
zurück, gab hier zwei Bücher aus, einen Band meiner
Gedichte (staunen Sie?) und ein
Buch über einen verstorbenen Freund, das
hier einen sehr grossen Erfolg gehabt hat –, in 8 Tagen ausverkauft. Reiste wieder
aus, wurde zwei Mal zurückgerufen durch Depeschen,
|weil meine
Mutter krank war. Das letzte Mal war ich in
Polen, wo ich wegen meines
Buches über Polen (das deutsch und polnisch
übersetzt worden) eingeladen und komisch vergöttert wurde.
Zurück in einem Zug aus
Lemberg. Sah meine
Mutter 14 Tage dann selbst
krank, konnte meine
Mutter
nicht sehen in der letzten Woche ihres Lebens und nicht an ihrer Beerdigung dasein.
Ich habe
nie einen einzigen Tag in
Kopenhagen versäumt meine
Mutter zu besuchen.
Und jetzt liege ich in Streit mit den
Deutschen
wegen der Austreibung der
Dänen aus
Schleswig. Gibt es etwas widerlicheres als
|Preussen? Nicht
Frankreich einmal.
Mit ruhiger geniessender Freude las ich Ihr
Vermächtnis. Es ist ein völlig originales Ding, sehr discret und vornehm, tief
pessimistisch und human. (Kennen Sie zufällig eine kleine Erzählung von
Huysmans Un
dilemme die behandelt ein ähnliches Thema, nur viel gröber oder richtiger
ganz anders, aber es ist da ein bischen Verwandtschaft).
Es ist nur Schade, dass das
Stück so ganz und gar traurig ist, dann wird es nicht so viel Bühnenerfolg
haben können,
|wie ich es
wünschte. Der Vater ist wunderbar gezeichnet. Aber überhaupt ich hab Ihr Talent so
lieb. Etwas freut mich schon, weil es von Ihnen ist.
Warum lässt doch unser Freund
Beer Hofmann nie
von sich hören? Ist er ein bischen faul? Er ist doch ein so feiner Mensch.
Denken Sie, was es heisst für einen Mann von meinem Temperament still zu liegen,
Geduld haben zu sollen und wieder, nachdem ich Ein
Mal ein halbes Jahr so verlor.
Behalten Sie mich lieb
Ihr ergebener
Georg Brandes