Verehrter Herr Dr. Schnitzler,
ich habe Ihnen noch zu danken für die gütigen Zeilen, die mir Mr.
Thayer, ein wirklich
sehr
sympathi
scher junger Mann, von Ihnen
überbrachte. Es haben
sich aus die
ser Bekannt
schaft ge
schäftliche Abmachungen
ergeben, die mir als hochgradigem Familienvater höch
st angenehm
sein mü
ssen.
Eine große Freude war es mir, bei Gelegenheit Ihres 60. Geburtstags von der Liebe
zu
zeugen, mit der ich Ihrem
bezaubernden Lebenswerk anhänge. Eben le
se ich
Casanovas Heimkehr – die Novelle war mir
sonderbarer Wei
se bisher unbekannt
geblieben – und kann die tiefe Zufriedenheit nicht
schildern, mit der ich
|mich von Ihrer Erzählungskun
st tragen
la
sse.
Im Oktober-Heft der
Neuen Rundschau werden Sie einen größeren Beitrag
von mir finden, einen Auf
satz, betitelt »
Von
deutscher Republik«, der vielleicht gar durch zwei Hefte wird fortge
setzt
werden mü
ssen. Ich ermahne darin die renitenten Teile un
serer Jugend und un
seres
Bürgertums
sich endlich vorbehaltlos in den Dien
st der Republik und der Humanität zu
stellen, – eine Tendenz, über die Sie vielleicht er
staunt
sein werden. Aber gerade
als Verfa
sser der »
Betrachtungen eines
Unpolitischen« glaubte ich meinem Lande ein
solches Manife
st in die
sem
Augenblick
schuldig zu
sein. Und was die Verliebtheit in den Gedanken der Humanität
betrifft, die ich
seit einiger Zeit bei mir fe
ststelle,
so mag
sie mit dem
Roman zu
sammenhängen, an dem
ich
schon
|allzu lange
schreibe, einer Art
von Bildungsge
schichte und
Wilhelm
Meisteriade, worin ein junger Men
sch (vor dem Kriege) durch das Erlebnis der
Krankheit und des Todes zur Idee des Men
schen und des Staates geführt wird. –
Verzeihen Sie die unerbetene Vertraulichkeit! – –
Im
Oktober werde ich Ihren Spuren in
Holland folgen. Im
Januar soll ich
Wien
wieder
sehen und damit,
so hoffe ich, Sie. Ich freue mich
sehr darauf.
In herzlicher Ehrerbietung Sie grüßend bin ich, lieber Herr Dr.
Schnitzler,
Ihr ergebenster
Thomas Mann.