Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Mein lieber Freund,
Ich danke Dir von Herzen für die Über
sendung von »
Sterben«. Als ich den
Schluß las, hatte ich das Gefühl, daß
sich der durch die verfluchten
Fort
setzungen unterbrochene Strom wieder her
stellte. Der große Schauer kam –
Ergriffenheit und Entzücken. Das Sterben i
st mei
sterhaft ge
schildert. Mich
stört nur
das Erwürgen
.↓,↓ – die
ses plötzliche Verfallen in die kriminali
sti
sche Brutalität, nachdem
es vorher
Alles
Alles eitel Freiheit, Seele, Stimmung gewe
sen. Ich glaube, das
|hätte zwei
selhaft bleiben mü
ssen. Vielleicht
stellte
sich das die überhitzte Phanta
sie des Mädchens
↓nur↓ so vor?
Vielleicht wollte er
sie umarmen? Wie
stört das noch rückwärts etwas das Bild des
Unglücklichen. Er
soll Einer
sein, der
leidet, bis
zum Schluß. Das Handeln i
st
so unheimlich,
so gegen
seine Natur. Der erwürgt nicht,
glaub’ mirs. Er weint nur, weil
sie nicht mit ihm
sterben will, das Sterben
selb
st
wird ihm dadurch zur noch größeren Qual, er wird noch mehr
leidend zum Schluß. So denke ichs mir. Und
|das Alles könnte erreicht werden, wenn nur ein einziger kleiner Satz am Schlu
sse
ge
strichen würde, wo das Mädel es klar
sagt: »Er hatte
sie erwürgen wollen.«
Vielleicht habe ich übrigens Unrecht. Denn ich habe das
Buch mit über
scharfer Kritik gele
sen, weil ich
mir Dir
selb
st gegenüber ein unparteii
sches zu fällen mich verpflichtet fühlte und
stets auf der Lauer war, um nicht von meiner Freund
schaft überrumpelt zu werden.
Son
st i
st es wohl gelungen, das
Buch –
schön und reich. In der Literatur
|wei
st es Dir, meiner An
sicht nach, einen Platz neben
d’Annunzio an
.↓;↓ nur i
st Deine Art etwas bla
sser, weniger raffinirt,
sanfter, als die
seine.
Laß’ Dich von Herzen beglückwün
schen.
Ich habe
sofort Schritte gethan, um Dir eine Be
sprechung in der
Pariser Pre
sse, und zwar in der großen, zu ver
schaffen. Ich bin
zum »
Journal des Débats« gegangen und habe Sturm geläutet über die
Wiener Literatur.
Pierre Lalo, ein charmanter und fein
sinniger College, hat mir Be
sprechungen ver
sprochen.
Ob ers halten
|wird, weiß ich nicht. Jedenfalls
schicke ihm ein
Buch und
schreibe hinein:
À Monsieur Pierre Lalo,
hommage de l’auteur, mit Deiner Unter
schrift. Eben
so
soll
Richard ihm
sein
Buch schicken.
Er wohnt
19. Boulevard de Courcelles, Paris. Unter keinen Um
ständen aber bitte ich
Bahr die
Adresse zu geben.
Ich will nicht, daß er
sich durch meine Vermittelung in der
Pariser Pre
sse lancirt. Sei mir nicht bö
se: »
Ich weiß es wohl, es ist ein
Vorurtheil etc.«.
|Bei der »
Frankfurter
Zeitung« habe ich ge
stern Schritte gethan. Ich
hoffe, diesmal wird Alles glatt gehen. Ha
st Du die liebenswürdige Erwähnung Deines Namens durch
Uhl in
seinem
Briefe über
das
Stück von
Lubliner gele
sen?
Ich wün
schte nur, daß ich Dir auch in den Schritten für Dein
Stück behilflich
sein könnte
.↓,↓ um Dir ein wenig von dem Pa
ssionswege zu er
sparen. Ich habe mir den Kopf
zerbrochen, wie ich eingreifen könnte, finde aber nichts. Oder glaub
st Du vielleicht,
daß
|Uhl etwas in der Sache thun könnte? Dann
schreib’ mir darüber, und ich wills
unternehmen. Jedenfalls wiederhole ich Dir von Neuem: laß’ Dich nicht niederdrücken
und entmuthigen. Die Schwierigkeiten waren vorauszu
sehen. Wenn man ein Stück nur zu
schreiben und einzureichen brauchte, um es aufgeführt zu
sehen,
so wäre es ein
Vergnügen, Theaterdichter zu
sein. Außerdem bring
st Du Neues, das heißt etwas
Anti-Dummes, folglich ha
st Du die Dummheit gegen Dich. Das i
st doch ganz natürlich.
Aber man findet
schon Mittel,
|um mit der Dummheit
fertig zu werden. Nur Zeit, Geduld und Ge
schick gehört dazu. Mit die
sen drei
Kampfmitteln
we mußt Du Dich unter allen Um
ständen ausrü
sten. Ich bin
überzeugt, Du wir
st am Ende durchdringen, und zwar gerade beim
Burgtheater. Laß’ Dich al
so nicht ver
stimmen.
Denk’ auch an den
schönen Haß und Hohn, den die
se Erfahrungen in Dir aufhäufen und
der befruchtend wirken wird für
sch spätere Werke.
Und, bitte, mach’ mir nach wie vor von jedem weiteren Vorkomniß Mittheilung.
Speidel?
|Vielleicht. Wenn Gott will,
schießt ein Be
sen. Und die Erfahrung lehrt, daß
hier und da ein Be
sen
schon ge
scho
ssen hat. Man
ve
verleumdet den lieben Gott, wenn man
so ganz
seine Exi
stenz leugnet. Ein wenig
exi
stirt er doch, auch für junge Poeten.
Dringend bitte ich Dich, mich bei Frl.
Sandrock zu ent
schuldigen. Ich
schreibe ihr,
sobald ich einen
sreien Augenblick
habe.
Herr
Sokal soll gut aufgenommen werden,
|um de
ssentwillen, von dem er kommt, und, wenn er
will, auch
seinetwegen.
Wie geht die »
Zeit«? Und was
sag
st Du dazu?
Unter Discretion: Ich höre, daß
Benedict Erkundigungen über mich einzieht. Natürlich werde ich nie an
Herzls Stelle kommen,
schon weil
Herzl dagegen i
st, und aus andern Gründen. Aber kenn
st Du zufällig Jemanden, der dem
hochmögenden
Herrn, natürlich mit unendlicher
Vor
sicht, in einem Ge
spräche gelegentlich mittheilen könnte,
|daß ich ein großer Mann bin? Um nicht Alles
unver
sucht zu la
ssen!
Die gütigen Worte, die Du über mich
schreib
st, haben mich tief bewegt. Was ich an
Dir habe, weiß ich läng
st; aber es thut wohl, es
wieder einmal zu fühlen. Wie
sich mein Bild bei Andern malt,
sehe ich täglich und
stündlich, und die
se Erfahrungen
sprechen
schreienden, brüllenden Hohn zu Deinen
lieben Zeilen. Wenn ich
dann Dein
Buch le
se und dann an meine Thätigkeit denke –
|es i
st beinahe komi
sch. Nein, ehrlich ge
sagt,
das i
st es nicht: es i
st traurig. . . .
Du erhälst anbei ein paar kuriose
Artikel
aller Art.
Was soll ich mit den 30 Francs 30 ct. machen, die ich Dir schulde? Du setzest mich einer starken Versuchung aus. Ein Anderer hätte sie längst
unterschlagen. Ich sehe mit Befriedigung, wie ehrlich ehrlich ich bin.
Grüße, bitte,
Mutter,
Bruder und
Schwägerin.
In alter Treue
Dein
Paul Goldmann.