Fondateur M. L.
Sonnemann. Paris, 23. September.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Mein lieber Freund,
Dein Brief beginnt mit allerlei Miß
stimmungs-Äußerungen, macht
schlimme Erwartungen
rege, – und
schließlich kommt
Gutes Gutes, nichts als
Gutes (unberufen!)
. Über das Ergebniß der Le
seprobe freue ich mich von Herzen, und ich glaube, es i
st Anlaß, Dich dazu zu
beglückwün
schen. Die Haltung der großen
Tragödin i
st lu
stig zum Sich-Schütteln. Gewiß kann noch
allerlei Tücki
sches von die
ser Seite kommen –
|aber,
glaub’ mir,
sie kann nichts
mehr verderben
.↓,↓ sie i
st im Grunde machtlos.
d↓D↓as
scheint
sie übrigens
selb
st zu
spüren, denn
son
st hätte
sie Dir nicht
telephoni
sch gratulirt. Ein von
Speidel gün
stig beurtheiltes
Stück i
st doch eine verdammte Ge
schichte. Davor muß
selb
st
L×↓die↓ Luderhaftigkeit
sich beugen.
Speidel hält
sich übrigens wacker. Bravo! Auch
Burckhardts Äußerungen über die Be
setzung von
Anatol sind ein
artiges Stück Comödie. Es i
st er
staunlich, wie lu
stig das Leben
sein kann, wenn
|es will.
Wie Du
schreiben kann
st, daß Du um
sieben Jahre zurück
seie
st, i
st mir unklar. Gibt
es etwa in der Literatur eine Studien- und Examen-Laufbahn, wie in der Jurisprudenz
und Medicin? Je
später man zu
schreiben anfängt, um
somehr hat man vorher gelebt. Und
wenn in den Werken mehr durchgelebtes Leben drin i
st,
so i
st das ein Gewinn. Hier
könnte man das
Paradoxon machen, daß in der Literatur die
verlorenen Seme
ster gerade die gewonnenen
sind. Hätte
st Du vor
sieben Jahren
|die »
Liebelei«
schreiben können oder »
Sterben«? Unmöglich,
nicht wahr? Nun al
so!
In der
Correspondenz, die ich
meinte,
sprach
Uhl nicht von Dir. Er
sagte nur: das
Burgtheater ver
spreche eine Reihe von Novitäten; das
sei
schön; er wolle
abwarten und am Ende der Sai
son Abrechnung halten, ob die
Direction alle Ver
sprechungen erfüllt.
Damit
spielte er wohl auch auf die bisherige Verzögerung der »
Liebelei« an, und ich meinte,
|die Abrechnungs-Drohung
sei geeignet, weitere
Ver
schiebungs-Gelü
ste etwas zu dämpfen.
Daß
Herzl liebenswürdig i
st, i
st gut u. er
staunt mich nicht. Ich rathe Dir dringend,
seine Einladung
anzunehmen und für die »
Neue Fr. Pr.« Feuilletons zu
schreiben. Sehr nützlich – be
sonders um
nun glen gelegentlich einen be
sseren Verleger zu
finden.
|Zur
Mad. Candiani gehe ich demnäch
st. Inzwi
schen hat mich die
deutsche
Frau eines
franzö
si
schen
Collegen
er
sucht, ich möchte ihr etwas zum Über
setzen empfehlen. Ich habe ihr die »
Kleine Komödie« gegeben. Denn der betr.
College i
st an der »
Liberté«, einem
sehr ange
sehenen u. an
ständigen
Blatte, u. könnte vielleicht die
Übersetzung dort placiren. Als
Zeitungs-Novelle ginge die
Geschichte recht gut. Kriegen wir
st
|Du
natürlich nichts, aber es wäre recht hüb
sch, wenn etwas von Dir in einem
fran Pariser
Tagesblatte er
schiene. Bi
st Du einver
standen,
so
schreib
t↓e↓ mir einen Brief
.↓,↓ gerichtet an
Madame Aubry (dies der Name). »
Madame, Je vous
autorise bien volontiers à traduire en francais ma nouvelle »
Kleine Komödie«, u.
son
st etwas
Verbindliches. Ich wü
re↓d↓e mich freuen, wenn der kleine Plan gelänge. . . . . .
Die
Ida Fanjung i
st hier und läßt Euch Alle grüßen. Eine große
|Freude für mich. Mit ihrem offenen Character und ihrer Geradheit i
st
sie wie ein
männlicher Freund. Freilich ganz unkün
stleri
sch und ohne Feinheiten. Sie
spürt, daß
sie unkün
stleri
sch i
st, und i
st darum innerlich mit
sich zerfallen. Hätte wohl nicht
zur Bühne gehen
sollen. . . . . .
Lies’
Rubinstein: »
Die Musik u. ihre Meister«. Habe
selten
etwas
so Gei
streiches über Mu
sik gele
sen, – wenn er auch
Wagner nicht mag. Von »
Juliens Tagebuch« bin ich nicht gar
so entzückt.
|Ich mag die Bücher nicht, die thun, als ob es nichts in der Welt gäbe, als Liebe,
und als ob das gar
so wichtig
sei! Freilich, ein
Mann von großem Talent. Packt Einen aber nicht in den
Tiefen.
Was Dir
Paul Schultz ge
sagt, i
st die officiö
se
Ver
sion u. eine alberne Lüge. Ich habe
hier die Wahrheit gehört. Man hat mich nicht genommen aus ver
schiedenen
|per
sönlichen Gründen, deren haupt
sächlicher die alte
Todfeind
schaft war zwi
schen meinem
Onkel und dem
Blatte. . . . .
Meine Stimmung? Ich wünschte, es wäre wieder Urlaub und ich wäre wieder mit Dir
zusammen.
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund, und
schreib’ bald, – be
sonders, wie die Dinge im
Burgtheater weitergehen.
In Treue
Dein
Paul Goldmann
Wie gefällt Dir folgender Satz: »Und alle möglichen Unzulänglichkeiten
men
schlicher Verhältni
sse wurden eilig wieder deutlich.«? Du mein
st, das
sei von
Goethe. Aber nein, es i
st von
Arthur Schnitzler und
steht
in Deinem letzten Briefe. Wäre ich jetzt bei Dir,
so würde ich Dir
schleunig
st den
Goethe wegnehmen. Du glaub
st, der
Mann schreibe
da die auf ihre ur
sprüngliche Bedeutung zurückgeführte Sprache, das »Deut
sche
an
|und für
sich«. Aber nein, er
schreibt einen
Styl,
seinen Styl, der ein ganz anderer i
st, als
der
Schnitzlersche. Laß’ ihn wirklich einmal ein paar
Wochen liegen, den alten Herrn, wenn er
sich
so hinterli
stig in Deine
Individualität ein
schleicht, wie obiges Bei
spiel zeigt, das mich nicht wenig
vergnügt hat.