Arthur Schnitzler an Felix Salten, 10. 11. 1903

|10/11 903.
lieber Freund, ich frage mich nun wieder einmal, ob es nicht besser wäre alles, was man gegen jemanden, der einem nahe steht auf dem Herzen hat, zu verschweigen, um ein Verhältnis, wie auch nicht in der Höhe absoluter Ehrlichkeit, doch wenigstens auf dem Niveau angenehmer Unterhaltung |und gelegentlicher intellectueller Aussprache weiterzuführen. .  Ich habe Ihnen einfach geschrieben, nicht ohne Erregung, vielleicht nicht ganz ohne Ungerechtigkeit, was mich in Ihrem Feuilleton befremdet, durch welche Bemerkg ich mich am Ende sogar unangenehm berührt fühlen durfte. Gut. Darauf schreiben Sie mir einen sehr |schönen Brief, in dem Sie mich allerdings nicht vollkommen überzeugen, der mir aber als ganzes wohlgethan – und der jedenfalls alle Reste von Bitterkeit (oder halten Sie mich für nachträgerisch?) weggewaschen hat. Und nun kommt, da ich eben bereit bin, die Sache als erledigt zu betrachten, und nach der Aussprach von beiden Seiten |Ihnen wie sonst die Hand zu drücken, da kommt dieser ärgerliche, enervante Schluss – in dem Sie sich von der Vorlesung zu absentiren wünschen, zu der ich Sie als einen Freund und als einen Menschen, dessen Urtheil mir aufs höchste werth war u ist (auch wenn er sich wie wir alle |gelegentlich irrt oder, wie alle einmal misverständlich ausdrückt) eingeladen habe – kommt die unglaubliche Bemerkung: »Ich überlege mir – ob es einen Werth für Sie haben kann, wenn ich jetzt Ihrer Vorlesung beiwohne. . « – Nicht als ob mein Urtheil über Sie befangen oder schwankend gemacht werden könnte – aber wie ich Ihnen nun meine |Meinung formuliren soll – u wie Sie sie aufnehmen werden . . . . .  lieber Freund, hier versagt mir die Antwort. Soweit ich mich erinnere, haben wir einander in mündlichem Verkehr wenigstens bisher nicht misverstanden. Nichts gibt Ihnen das entfernteste Recht zu vermuthen, dass ich Sie aus einem andern |Grunde zu mir bitte, als weil ich Werth auf Ihr Zuhören und auf Ihr Urtheil wie auf Ihr Eingreifen in die Discussion lege. Ich darf von Ihnen verlangen, dass Sie mir und der Aufrichtigkeit und Unbeeinflußtheit meiner Motive glauben, wenn ich zu Ihnen rede. Empfindlichkeiten, Nervositäten, Befan|genheiten, Unklarheiten stören unsere Beziehungen seit Jahren. Das Mistrauen aber wäre einfach die Todeskrankheit. Und an dem, wenigstens an dem, bin ich völlig unschuldg. Ja können wir denn wirklich nicht so zu einander stehen – wie Menschen, die in klaren Worten zu einander sprechen? |ssen Meinungsverschiedenheiten immer wie Nebel sein, die unsre Physiognomien vor einander verbergen – statt Blitze, die sie erleuchten?
– Es ist nichts »vorgefallen«; für mich nichts. Ich habe mich geärgert. Ja. Ich ärgere mich sogar noch. – Sie auch. Nun ja. Wenn aber ein Anlass sein sollsich von einander abzu|wenden – so komme diese Schuld auf Sie allein. Ich vermag es nicht, – dergleichen dauernd schwer zu nehmen – und wenn ich auch  eine Stunde lang oder eine Nacht lang gekränkt oder erbittert war. Sich aussprechen ist alles. Aber es darf einem nicht |zu schwer gemacht werden
Ihr
 A. S
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