Felix Salten an Arthur Schnitzler, 9. 3. 1906

|B. Z. am Mittag Berlin SW, 9. III. 06.
Chefredaktion Kochstr. 23–25
Lieber, hier sende ich Ihnen das Feuilleton – das einzige, das bisher kam – aus der »B. Z.« Montag will ich nochmals über die Russen schreiben, und schicke es Ihnen dann gleich zu. Dass Sie so verstimmt von hier weggingen, hat auch auf mich deprimirend gewirkt. Dieser »Ruf des Lebens« schien mir so unbezweifelbar, und ist es mir noch, dass seine Aufnahme für mich eine symptomatische Bedeutung annahm.
Es ist ein Glück, dass Sie stark genug sind, um sich kommende Produktion durch solche, an sich keineswegs wichtige Zwischenfälle, stören zu laßen. Darauf rechne ich sehr, und hoffe, bald von Ihnen zu hören, dass Sie arbeiten. Schlimm wäre es ja nur, wenn Sie, – mehr aus künstlerischer Hypochondrie als aus Selbstkritik – anfangen würden, in Ihrer Abschätzung dieses Stückes wankend zu werden. Da kann man freilich für eine Weile den Boden unter sich schwinden fühlen. Aber es wäre, besonders in diesem Falle, das Falscheste! Sie müssen unbedingt dabei bleiben, dass Ihr Stück im Recht ist, und dass die Zufälligkeit eines Abends nichts beweist. Dass Harden so geschrieben hat, ist im ersten Moment für Ihr Empfinden vielleicht sehr verletzend gewesen; tut aber wirklich nichts. Hätte er die Sache ausführlich und mit der ganzen Kraft seiner Dialektik zerrupft und zergliedert, dann wäre es schlimmer gewesen, denn es hätte gewirkt. So aber hat hier, – und wol überall – jeder nur die Achsel gezuckt und gesagt: Das glaubt Harden selber nicht. Die Politik war gar zu sichtbar, als dass ein kritischer Einfluß erfolgen könnte.
Nach und nach kommt meine Wohnung in Ordnung, und ich kann eine menschliche Existenz beginnen. Könnte ich jetzt wieder von hier auswandern, dann wäre ich schon imstande, ein nettes Buch über Berlin zu schreiben. Aber, ich hoffe, dass ich hier nicht sterben muß, und doch einmal werde reden können. Nach Wien sehne ich mich aber auch nicht. Dazu liegt mir die Schweinerei der letzten Affären noch zu sehr im Magen. Haben Sie die letzte Schurkerei des dramatischen Dichters Ludassy Jemandem erzählt? Wenn nicht, dann tun Sie’s doch, bitte. Es ist das Empörendste, dass so ein niederes |durch und durch verseuchtes Luder einen monatelang zwischen seinen Fingern halten darf; Na, Sie haben mich einmal einen »guten Hasser« genannt, – nicht ganz mit Recht, denn ich habe mich bisher noch nie an Jemandem gerächt. Aber diesmal will ich mir den Titel verdienen. So oder so. Und wenn nur der Prozess endlich anberaumt wird – ich hab mir’s genau überlegt – ich tue nichts, um ihn hinauszuschieben, dann will ich dafür sorgen, dass diesmal der Angeklagte wirklich Angeklagter sein soll.
Übrigens, laßen wir das. Es gibt, gottseidank, bessere Menschen. Z. B. Beer-Hofmann, nicht wahr? Wie finden Sie es, dass er mir bis heute noch keine Zeile schrieb, keine Karte, nichts! Dabei bin ich doch nicht einfach nur verreist, bin in einer Lebensepoche, in der es nicht ganz unwichtig ist, die Festigkeit gewisser Beziehungen zu spüren, bin in einer Situation, in der es vielleicht sogar tröstlich, jedenfalls aber animirend sein kann, von Freunden was zu hören. Dabei hab ich, mitten im Übersiedlungsrummel, im Fieber der neuen Stellung, in der Unrast des Hotelwohnens an B-H. geschrieben, als ich sein Mozart Feuilleton las (auch dazu hatte ich Zeit gefunden), dabei hatte ich noch ein zweitesmal an ihn eine Karte geschickt. Dabei hat Otti an Frau Beer-Hofmann geschrieben. Und nichts. Nett, nicht wahr?, wenn dann die »besseren Menschen« so aussehen. Ich hoffe, dass Sie mich so sehr arg nicht missverstehen, und für Empfindlichkeit oder gar für Beleidigtsein nehmen, was nur ein ganz klares Abrechnen ist. Bei diesem Abrechnen sind alle mildernden Umstände, alle psychologischen Möglichkeiten nachfühlenden Begreifens schon in Anschlag gebracht, mit dem Resultat: man kann immer eine Karte schreiben! eine Zeile! Ich meine, dieses ist jenseits von Empfindlichkeit und Beleidigtsein. Es ist ganz, ganz was anderes! Das alles unter uns und im Vertrauen. Ich muß mich über diese Sache aussprechen, hab es gestern an Hofmannsthal gethan, und that es heute an Sie. Denn so ganz einfach und wortlos mochte ich diese neueste Erfahrung nicht »zu den übrigen legen.« Will aber keine Diskussion mit B.-H., weil die Sache absolut nicht diskutirbar und für mich erledigt ist. Will auch nicht, dass dritte Personen drum wissen, weil . . .  weil ich mich schäme!
Wenn die Kur, die ich gebrauche (Kohlensäure Bäder und Vibrations-Massage) vorbei ist, wenn es wirklich Frühling geworden, fange ich gleich mit einer Arbeit an. Das ist so gut an Berlin, dass man hier nur am Arbeiten Freude hat, an nichts anderem. Nicht am Spazierengehen, nicht an Landparthien, nicht an gemütlichem Schwatz und nicht an irgend welchen anderen freundlichen aber zeitraubenden Dingen. Man muß immer arbeiten, den ganzen Tag arbeiten, wenn man sich wol fühlen will.
|Eines ist mir sehr erfreulich hier, wenns nur so bleibt: dass die Kinder sich so wol fühlen, und so brav essen. Annerl spricht jetzt schon so viel wie der Paul, und ist so lieb, dass sich’s kaum sagen läßt. Neulich waren wir zum ersten Mal im Zool. Und im Nilpferdhaus waren beide Kinder sprachlos vor Staunen. Da fing das eine Nilpferd laut zu schnauben und zu wiehern an, und Paul war darüber so entsetzt, dass er in Thränen ausbrach, Annerl aber rief dem Nilpferd zu: »Sei still, Nilpferd, sonst muß Pauli weinen!« Und Pauli erzählte zu Hause der Grossmama, das Nilpferd habe »mit dem Mund ein Gewitter gemacht!« Daran ließe sich etwa ein verallgemeinerndes Aphorisma knüpfen, was ich aber unterlaße.
Viele herzliche Grüße von uns zu Ihnen.
Ihr
 Salten
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