Chefredaktion Kochstr. 23–25
Lieber, hier sende ich Ihnen das
Feuilleton – das einzige, das
bisher kam – aus der »
B. Z.« Montag will ich nochmals
über die Russen schreiben, und schicke es
Ihnen dann gleich zu. Dass Sie so verstimmt von hier weggingen, hat auch auf mich
deprimirend gewirkt. Dieser »
Ruf des Lebens«
schien mir so unbezweifelbar, und ist es mir noch, dass seine Aufnahme für mich eine
symptomatische Bedeutung annahm.
Es ist ein Glück, dass Sie stark genug sind, um sich kommende Produktion durch
solche, an sich keineswegs wichtige Zwischenfälle, stören zu laßen. Darauf rechne
ich
sehr, und hoffe, bald von Ihnen zu hören, dass Sie arbeiten. Schlimm wäre es ja nur,
wenn Sie, – mehr aus künstlerischer Hypochondrie als aus Selbstkritik – anfangen
würden, in Ihrer Abschätzung dieses
Stückes wankend zu werden. Da kann man freilich für eine Weile den Boden
unter sich schwinden fühlen. Aber es wäre, besonders in diesem Falle, das Falscheste!
Sie müssen unbedingt dabei bleiben, dass Ihr
Stück im Recht ist, und dass die Zufälligkeit eines Abends nichts
beweist. Dass
Harden so geschrieben hat,
ist im ersten Moment für Ihr Empfinden vielleicht sehr verletzend gewesen; tut aber
wirklich nichts. Hätte er die
Sache ausführlich und mit der ganzen Kraft seiner Dialektik zerrupft und
zergliedert, dann wäre es schlimmer gewesen, denn es hätte
gewirkt. So aber hat
hier, – und wol überall – jeder nur die Achsel gezuckt und gesagt: Das
glaubt
Harden selber nicht. Die Politik war
gar zu sichtbar, als dass ein kritischer Einfluß erfolgen könnte.
Nach und nach kommt meine
Wohnung in Ordnung,
und ich kann eine menschliche Existenz beginnen. Könnte ich jetzt wieder von
hier auswandern, dann wäre ich
schon imstande, ein nettes Buch über
Berlin zu
schreiben. Aber, ich hoffe, dass ich hier nicht sterben muß, und doch einmal werde
reden können. Nach
Wien sehne ich mich aber auch
nicht. Dazu liegt mir die Schweinerei der letzten Affären noch zu sehr im Magen.
Haben Sie die letzte Schurkerei des
dramatischen Dichters
Ludassy
Jemandem erzählt? Wenn nicht, dann tun Sie’s doch, bitte. Es ist das Empörendste,
dass so ein niederes
|durch und
durch verseuchtes Luder einen monatelang zwischen seinen Fingern halten darf; Na,
Sie
haben mich einmal einen »guten Hasser« genannt, – nicht ganz mit Recht, denn ich habe
mich bisher noch nie an Jemandem gerächt. Aber diesmal will ich mir den Titel
verdienen. So oder so. Und wenn nur der Prozess endlich anberaumt wird – ich hab
mir’s genau überlegt – ich tue nichts, um ihn hinauszuschieben, dann will ich dafür
sorgen, dass diesmal der Angeklagte wirklich Angeklagter sein soll.
Übrigens, laßen wir das. Es gibt, gottseidank, bessere Menschen. Z. B.
Beer-Hofmann, nicht wahr? Wie finden Sie es,
dass er mir bis heute noch keine Zeile schrieb, keine
Karte, nichts! Dabei bin ich doch nicht einfach nur verreist, bin in einer
Lebensepoche, in der es nicht ganz unwichtig ist, die Festigkeit gewisser Beziehungen
zu spüren, bin in einer Situation, in der es
vielleicht sogar tröstlich,
jedenfalls aber
animirend sein kann, von Freunden was zu hören. Dabei hab
ich, mitten im Übersiedlungsrummel, im Fieber der neuen
Stellung, in der Unrast des
Hotelwohnens an
B-H. geschrieben, als ich sein
Mozart Feuilleton las (auch dazu
hatte ich Zeit gefunden)
, dabei hatte ich noch ein
zweitesmal an ihn eine Karte
geschickt
. Dabei hat
Otti an
Frau Beer-Hofmann
geschrieben. Und nichts. Nett, nicht wahr?, wenn dann die »besseren Menschen«
so aussehen. Ich hoffe, dass Sie mich so sehr arg
nicht missverstehen, und für Empfindlichkeit oder gar für Beleidigtsein nehmen, was
nur ein ganz klares Abrechnen ist. Bei diesem Abrechnen sind
alle mildernden Umstände,
alle
psychologischen Möglich
g×↓k↓eiten nachfühlenden Begreifens schon in Anschlag gebracht, mit dem Resultat:
man kann
immer eine
Karte schreiben!
eine Zeile! Ich meine,
dieses ist jenseits von Empfindlichkeit und Beleidigtsein. Es ist ganz, ganz was
anderes! Das alles unter uns und im Vertrauen. Ich muß mich über diese Sache
aussprechen, hab es gestern an
Hofmannsthal gethan, und that es heute an Sie.
W↓De↓nn so ganz einfach und wortlos mochte ich diese neueste Erfahrung nicht »zu
den übrigen legen.« Will aber keine Diskussion mit
B.-H., weil die Sache absolut nicht diskutirbar und
für mich erledigt ist. Will auch nicht, dass dritte Personen drum wissen, weil . . . weil ich mich schäme!
Wenn die Kur, die ich gebrauche (Kohlensäure Bäder und Vibrations-Massage) vorbei
ist, wenn es wirklich Frühling geworden, fange ich gleich mit einer Arbeit an. Das
ist so gut an
Berlin, dass man hier nur am
Arbeiten Freude hat, an nichts anderem. Nicht am Spazierengehen, nicht an
Landparthien, nicht an gemütlichem Schwatz und nicht an irgend welchen anderen
freundlichen aber zeitraubenden Dingen. Man muß immer arbeiten, den ganzen Tag
arbeiten, wenn man sich wol fühlen will.
|Eines ist mir sehr erfreulich
hier, wenns nur so bleibt:
dass die
Kinder
sich so wol fühlen, und so brav essen.
Annerl
spricht jetzt schon so viel wie der
Paul, und
ist so lieb, dass sich’s kaum sagen läßt. Neulich waren wir zum ersten Mal im
Zool. Und im Nilpferdhaus waren beide
Kinder sprachlos vor
Staunen. Da fing das eine Nilpferd laut zu schnauben und zu wiehern an, und
Paul war darüber so entsetzt, dass er in Thränen
ausbrach,
Annerl aber rief dem Nilpferd zu:
»Sei still, Nilpferd, sonst muß
Pauli weinen!«
Und
Pauli erzählte zu Hause der
Grossmama, das
Nilpferd habe »mit dem Mund ein Gewitter gemacht!« Daran ließe sich etwa ein
verallgemeinerndes Aphorisma knüpfen, was ich aber unterlaße.
Viele herzliche Grüße von
uns zu
Ihnen.
Ihr
Salten