Elsa Plessner an Arthur Schnitzler, 19. 1. 1899

|Wien I. Spiegelgasse 2, den 19. 1. 99.
Telef. 7819.

Hochverehrter Herr Doctor!

Ich liege in einem furchtbaren Kampf mit mir selbst. Wenn ich nur genau wüsste, wie Sie in verschwiegener Ruhe Ihres hübschen Arbeitszimmers meine Brief- und Manuscript-bombardements aufnehmen! Angeborene und anerzogene Zurückhaltung sollten mich überhaupt etwas wirksamer bändigen aber – !!! –
Aber der ewige Wunsch gerade Ihr Urtheil über alle mein Arbeiten zu wissen!! – Sie |haben mir einmal geschrieben, dass Sie mir wie einem Schüler Aufgaben geben wollten! – – Das ermuthigt mich andrerseits wieder, Ihnen wie einem Professor meine Arbeiten zur Correctur zu zeigen! –
Also kurz – – ich habe im Herbst ein Stück geschrieben! 3 Acte Schauspiel. Es liegt jetzt über 2 Monate im Schreibtisch – und hat unter dem Einfluss Ihres »Vermächtnis« eine Änderung erfahren. Meine Heldin hieß – – – Toni!! – Folglich heißt sie jetzt anders! –
|– (Wenn ich mir erlauben darf, eine Meiung zu äußern, so meine ich, dass die rührendste Figur Ihres Stückes – von einer Tragik, von einer geradezu erschütternden Schicksalsschwere die Figur der Agnes ist – die ja etwas im Schatten steht! – Ich weiß nicht, ob blos für mich. Aber die Toni hat ihr Leben hinter sich hat etwas genossen und ist mir deshalb nicht so leid! – Die kleine Agnes hätte ihr Leben vor sich, könnte ihr Glück bauen – und ihr werden die Bausteine aus der Hand geschlagen! Sie stirbt nicht dran – aber was in ihr stirbt – – das ist das beste, was so ein junges Ding hat.) – – Pardon für |diese Abschweifung! – – – – –
Also – lieber guter einziger Herr Doctor! Sein Sie so gut – sagen Sie nur sans-gène (vielleicht telefonisch) ob ich Ihrer Güte noch diese Belastungsprobe zumuthen darf – – ob Sie mein Stück lesen wollen. – – – Dann haben Sie's aber gleich!!  – – – Meine Familie will mich partout »berühmt«! Die »neuen Lehrer« u. s. w. sind »gar nichts« – – »was hab ich von Novellen«?!! Also – – der Bien muss! – Aber ganz schlecht scheint es doch nicht! Ich habe wirklich so etwas in mir entdeckt, was Stücke schreibt!!
Verehrungsvoll
 Elsa Plessner