Theodor Herzl an Arthur Schnitzler, 20. 2. 1895

|Grand Hôtel le 20 / II 1895

Mein liebster Freund,

auf einer Jagdpause nur zwei Zeilen. Für Ihren lieben, sehr lieben Brief habe ich ihnen schon telegraphisch gedankt. Ich folge Ihrem Rath, mich wenigstens dem Director zu nennen – da man es nun eben leider mit niederen Menschen zu thun hat u. ich das Stück ebensogut ungeschrieben hätte lassen können, wenn es nicht einmal gelesen wird. Aber ist es für uns nicht sehr demüthigend zu denken, dass zu dieser Zeit ein wirklicher Schnabel mit ungelesenen Manuscripten herumvagabundirt u. verzweifelt. Und vielleicht hat er mehr Talent als der Pseudoschnabel!
Also nennen Sie mich in Gottes Namen dem Müller Guttenbrunn, wenn er sein Ehrenwort gibt, das Maul zu halten. Müller ziehe ich Bukovics vor, weil ich glaube, dass er sein Wort hält. Bukovics hat mir einmal sein Wort gebrochen (Annahme von »Was wird man sagen«) und darauf ist er gestrichen u. gelöscht. An so was rühr' ich nicht mehr an. |Müller ist mir auch darum lieber weil ich weiss, dass ich ihm zuwider bin, u. meine Sehnsucht nach ehrlichen Bitternissen wird so ein wenig befriedigt. Die ganze Illusion, dass ich mir Aufführung u. event. Erfolg mit dem Stück selbst erworben habe, geht dabei in die Brüche, denn vielleicht ist Müller ein Opportunist geworden, u. rechnet mit der N. Fr. Pr.
Ueberschätze ich meine Zeitung? Vielleicht! Aber verstehen Sie doch, dass das mein Trost in der Handwerkerei ist!
Uebrigens wird mich vielleicht Müller vor Ihnen rehabilitiren, indem er das Stück ablehnt. Dann habe ich wenigstens Ihnen gegenüber Recht gehabt.
Dann kommt Prag, dann werde ichs unter meinem Namen drucken lassen, dann werde ich mit dem Revolver die Aufführung erpressen. – –
Sie wissen, dass ich scherze. Nach |Prag ist's aus.
Haben Sie noch so lange Geduld mit mir!
Warum hat Ihnen meine Heimatkritik nicht gefallen? Schreiben Sie mir das sofort! War ich Sudermann zu günstig? Es ist schwer. Ich kenne diesen lieben, diesen ehemals lieben Menschen seit 8 Jahren. Ich hatte u. habe ihn noch gern. Ich finde seinen Erfolg übertrieben, aber ursprünglich gerechtfertigt. Im Erfolg ist nie das rechte Mass. Nun klagt er mir über seine Feinde. Ist aus alledem, namentlich aus dem Wunsch, seinen Erfolg nicht literarisch gegen ihn sprechen zu lassen, eine Ueberschätzung geworden?
Sagen Sie mir das.
Pudelnärrisch ist, dass ich mich wegen der hiesigen Aufführung, resp. wegen meiner Berichte mit ihm überworfen habe. Er war mit meinen Berichten nicht zufrieden – darauf habe ich ihm einen |Absagebrief geschrieben. Das alles unter uns. Wir plaudern noch darüber, bis ich mehr Zeit habe.
Leben Sie wohl und haben Sie viel viel Glück und Freude mit Ihrem Stück! Sie sind kindisch, auch nur zu erwähnen, dass sie dem Deutschen Theater die Burgannahme mittheilten. Das war so selbstverständlich u. correct wie nur möglich.
Herzlich der Ihrige
 Th H.
Kann ich Ihr Stück nicht vor der Aufführung lesen? Ich glaube, gegenwärtig finden Sie keinen, der Ihnen mit besserer Meinung rathschlagt als ich.
    Bildrechte © University Library, Cambridge