Sigmund Freud an Arthur Schnitzler, 24. 5. 1926

|24. 5. 26
Prof. Dr. Freud Wien IX., Berggasse 19.

Verehrtester!

Ich weiß nicht, ob Sie schon zurück sind. Wenn nicht, werden diese Zeilen des Dankes für Ihren Gruß von der See Ihre Heimkehr erwarten.
Das Ereignis gieng besser vorüber, als ich erwartet. Viel Herzlichkeit kein Misston, dank vor allem der aufrichtigen Enthaltung der offiziellen Kreise. (Zu denen ja die sozialistische Wiener Kommune nicht zält). Die Juden haben sich von allen Seiten und aller Orten mit Begeisterung meiner Person bemächtigt, als ob ich ein gottesfürchtiger großer Rabbi wäre. Ich habe nichts dagegen, nachdem ich meine Stellung zum |Glauben unzweideutig klargelegt habe. Das Judentum bedeutet mir noch sehr viel affektiv.
Mit dem 70sten Geburtstag ist doch ein Gefühl großer Befreiung verbunden gewesen: Endlich hat man das Recht zu jenem Ausruf des Steinklopferhanns: Es kann der nix g’schehen! Sonderbar, denn die Zahl ist doch nur eine Konvention.
Am 15 Juni gehen wir auf den Semmering. Es soll doch nicht ein Vorrecht des Kranken bleiben, Sie öfter zu sehen.
In herzl Ergebenheit
Ihr  Freud
P. S. Über Ihre Traumnovelle habe ich mir einige Gedanken gemacht.
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