Lieber Freund! Das telegra
mm haben Sie ja. Ich bekam von
Schick einen kurzen Brief: »Ge
stern i
st das
Stück Dr. Schnabels per unfrank. Po
st bei mir eingetroffen: wegen
Ueberhäufung konnte es von
Blumenthal gar nicht gele
sen werden. Was
soll nun ge
schehen?« – Ich habe mir bei
Schick sofort den Brief
Bl.s. erbeten, den Sie dann gleich erhalten, aber zu weitern Ent
schließungen
brauchen wir ihn ja nicht. Keinesfalls haben Sie einen Grund ver
sti
mmt zu
sein –
Höch
stens über einen men
schlichen Irrthum; – es i
st Ihnen
schon wieder einmal
pa
ssirt, einen Theaterdirector für ein literari
sches Individuum zu halten. Warum
sag
ich: literari
sche
|verläßliches, nein, – an
ständiges. – Die
Idee der
Pseudonymität war offenbar nicht einmal
so gut –
als
ich geglaubt habe; – und Sie wi
ssen,
sehr viel hab
ich mir davon nicht ver
sprochen. Ich finde, Sie
überschätzen die
Neue Presse und die
unterschätzen
sich. Ich begreife es
wirklich nicht, da
ss man aus einem Namen, aus einer Stellung, die man
sich doch durch
nichts anderes erworben hat als durch den Werth
seiner Lei
stungen, nicht wenig
stens
den Vortheil ziehen
sollte,
sich in einer die
sem Namen u. die
ser Stellung
ent
sprechenden Wei
se von jederma
nn empfangen
|zu la
ssen.
Ihnen, der nicht nur eine ab
solut er
ste Stellung als Mei
ster des deut
schen
Feu
illetons im höch
sten Sinn (mit dem
Heimath-Feuilleton war ich übrigens
nicht ganz einver
standen) einni
mmt,
sondern der auch mit einer Anzahl von Stücken
erfolgreich aufgetreten, der mit
zweien sogar im
ständigen
↓deutschen↓ Repertoire der er
sten
Bühne steht – Ihnen wird kein
vernünftiger Men
sch nach
sagen, da
ss Sie eine eventuelle Aufführung eines neuen
Stückes Ihrer Stellung als Corre
spondent der
N. Fr. Pr.
verdanken. Es ist ja geradezu zu komi
sch.
|Da we
nn die
Pseudonymität nichts andres bedeuten würde als ein Reiz mehr
für Ihre Exi
stenz, als ein
spiel oder ein Spa
ss – da
nn wär es ja gut; aber die
Pseudonymität i
st ein Hinderni
ss, das Sie
sich
selb
st in den Weg
stellen, viel größer
als Sie offenbar geahnt haben. An Ihrer Kraft zweifle ich nicht, Sie wi
ssen es – aber
Sie
sehen, es gibt Hinderni
sse, die einfach nicht zu nehmen
sind. Was thut man
bei
spielswei
se in einem Fall wie in dem un
sern? Herr
Blumenthal sagt: Ich habe keine Zeit, Ihr
Stück zu le
sen, – da
stehen Sie mir! Seien Sie über
|zeugt, da
ss Herr
Blumenthal Zeit gehabt hätte, das
Stück des
Theodor Herzl zu le
sen. – Wollen Sie trotz aller bisherigen Erfahrungen die
Pseud.comödie weiter agiren – da
ss ich Ihnen
stets zur
Verfügung
stehe, braucht keiner weiteren Ver
sicherung. Aber meine An
sicht ke
nnen Sie.
Die Ideen, die Sie fürs
Raimundth. haben, deuten mir
allerdings darauf hin, da
ss Sie
sich dem Director
selb
st gegenüber zu neuen geneigt
wären. Dagegen i
st nun natürlich gar nichts einzuwenden. Warum aber wollen Sie nicht
beim
Dtsch. Volkstheater zuer
st einen Ver
such machen? So
viel man gegen diese Bühne – und mit
|wievielem Rechte man
es vorbringen mag – ich ließe mich noch i
mmer lieber im
Volkstheater als im
Raimundtheater aufführen.
Mein per
sönliches Verhältnis zu Herrn
Müller Gutenbrunn i
st das: da
ss ich (das wei
ss ich be
stimmt) einen tiefen Ekel vor ihm empfinde;
da
ss er mich (das ahne ich) nicht aus
stehen kann – und da
ss wir uns höflich grüßen,
wenn wir uns irgendwo
sehen. Mit dem
Volkstheater steh ich
jetzt gar nicht; man hat
sich recht
schäbig gegen mich beno
mmen und ich halte
|Herrn
Bukovics für einen
Cretin, Herr
Müller für einen Gauner und Herrn
Geiringer für einen Bör
sianer. Auf die zwei er
steren
kann ich die Hostie nehmen.– Ich
stehe al
so weder mit der einen noch mit der andere
Direction
so, da
ss ich mit der Aus
sicht auf irgend welchen Erfolg die Vertretung
eines p
seudonymen Autors übernehmen kö
nnte. Doch i
st es
selbstver
ständlich da
ss ich,
Arthur Schnitzler jederzeit für meinen in
Paris weilenden Freund Dr
Theodor |Herzl interveniren kann. Wollen Sie al
so
meinen kurzen und klaren Rath? La
ssen Sie Ihr
Stück ohne weitern Auf
schub unter Ihrem wahren Namen (etwa
durch
Schick, der das
Mscpt jetzt in Händen hat) an das
Dtsch. Volkstheater senden. Haben Sie aber eine Vorliebe fürs
Raimundtheater,
so
senden Sie es dorthin.
Persönlich kann ich leichter mit
Müller-Gutenbrunn in Angelegenheit Ihres
Stücks
verkehren als mit
Bukovics, der aller
|Wahr
scheinlichkeit nach (wegen der
Burg)
sich verpflichtet fühlen wird, mir nicht
angenehm
sein zu wollen. – Sehr gut kenn ich auch den Regi
sseur des
Rmdthts, Herrn
Langkammer, der, wie mir vorkommt auch mancherlei dreinzureden hat und neb
stbei ein
sehr
ge
scheidter Theatermen
sch i
st. Verfügen Sie über mich, mein lieber Freund, ganz nach
Belieben;– und gerathen Sie um Hi
mmelswillen nicht in eine kleinmütige Stimmung –
weil
|Sie wieder einmal die Erfahrung gemacht haben, da
ss in
den Theaterkanzleien eben
so
selten große Gei
ster als liebenswürdige Men
schen
sitzen –
wenig
stens gegen »Unbekannte«. Aber Sie
sind wirklich wie ein Men
sch, der durch
eigene Kraft ein Vermögen erworben und plötzlich die Marotte hat, von den paar
Kreuzern zu leben, mit denen er begann. Sie haben ein Recht dazu, auch einmal Coupons
abzu
schneiden! –
|– Mein
Stück i
st jetzt auch am
deutschen Theater in
Berlin angeno
mmen:
ich habe mich nicht ge
scheut, Herrn
Brahm die
Mittheilung zu machen, da
ss es an der
Burg
aufgeführt wird: es i
st wohl nicht unwahr
scheinlich, da
ss die
ser Um
stand die Annahme
be
schleunigt hat. Und doch halte ich mich nicht für einen Streber und doch habe ich
die Empfindung, da
ss in letzter Linie ein
↓event.↓ Erfolg doch nur dem
Um
stand zu danken
sein wird,
|da
ss ich ein nicht mislungenes
Stück ge
schrieben habe.
Seien Sie nicht weniger eitel als ich – oder,
sollt ich nicht
sagen –
seien Sie nicht
eitler–?– Ich
schreibe Ihnen gleich wieder, wie ich von
Schick den Brief habe. Seien Sie vielmals herzlich gegrüßt u. überzeugt da
ss Sie von
der »guten Freund
schaft« nach der Sie
sich
sehnen – bei mir finden
sollen, was ich zu
geben vermag.