|Kopenhagen (genügende Adresse)
4 December 15
Verehrter Freund
Drei Jahre sind vergangen, seit ich Ihr Gast war und die Freude hatte, in Ihrem Heim
mit Ihnen, Ihrer Frau
Gemahlin und Ihren Freunden zu verkehren. Seit dem – wie viel unerhörtes ist
geschehen! Alles ist anders geworden.
Ich wollte Ihnen schon vor einem Monat für Ihre dauerhafte Freundschaft danken, dass
Sie mir die
Komödie der Worte sandten. Sie haben wieder einmal das Labyrinthische dargestellt der erotischen
Neigungen und wie die Ehen die Herzen hemmen und fesseln. Tragisches und
Possierliches ist nach Ihrer Gewohnheit gemischt. Mir war Alles lieb.
Vor etwa drei Wochen sah ich in
|einem grossen privaten Verein hier Ihren
Dr. Bernhardi im Wesentlichen ganz vorzüglich aufgeführt. Das Stück ist mir theuer; nur kann
ich mich nicht mit der Logik recht befreunden, dass weil jemand nicht zum Märtyrer
geeignet ist, er überhaupt nicht für seine Ueberzeugung eintreten solle. Wir lassen
ja alle ohne Protest das meiste hingehen, weil das Protestiren doch nichts nützt;
aber Sie sollten nicht unsere Handlungskraft durch Entmuthigung lähmen. Das ist die
alte »Ironie« der Romantiker, die dem Pathos die Spitze abbricht.
Doch, was liegt heutzutage an all dem! Macduff sagt:
|Ich habe leider im Augenblick
wieder einen Anfall von meiner chronischen Krankheit, der Venenentzündung. Sie kam
zum ersten mal in 1871 nach einem Typhus, und seit 1897
wieder nur zu oft. Nach 2 ½ Jahren macht sie mir wieder ihren Besuch.
Die grosse
Maschine, die ich
über
Goethe machte, wurde schnell (in diesem
kleinen
Land) in 3,500
Exemplaren verkauft. Eine neue Auflage ein wenig verbessert, ist erschienen. Es sind
zwei recht dicke Bände. Ausserdem habe ich viele grössere und kleinere Artikel über
die Zustände – leider in unserer Geheimsprache – geschrieben.
Peter Nansen, den Sie kennen, hat seine
Production wieder aufgenommen und u. a. eine nicht unbedeutende grössere
Novelle erscheinen lassen.
Selbst liegt er leider krank. Er hat zuviele
|Cigaretten geraucht, zuviel Whisky
getrunken, sein Herz scheint gelitten zu haben, er hat seit 3–4 Wochen ein
en schwaches Fieber, das nicht weichen will. Ich liebe
ihn sehr und bin um ihn bekümmert.
Liebster FreundEmpfehlen Sie mich den Ihrigen und
bleiben Sie mir gut.
Ihr Georg Brandes