Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Mein lieber Freund,
Du hast ein sehr schönes Siegel.
Zweitens bitte ich Dich um einen Dien
st:
sei
so gut und bring mir umgehend die
Adresse von
Hildegard Mitis in Erfahrung. Die Familie wohnt, wie ich glaube,
IX. Alserstrasse 42. Der
Vater, der
Landesgerichts-Mitglied i
st,
steht übrigens
sicher
im
Adreßbuch. Bitte,
schick’ Jemanden hin und
sage: man wolle die Adre
sse der jungen
Dame wi
ssen, um
sie zur Mitarbeiter
schaft an einem
Blatte aufzufordern, oder
so
|etwas! Die Haupt
sache i
st, daß Du mir bald einen
Be
scheid gib
st. Ja?. . . .
Mit Deinem
Bruder und Deiner
Schwägerin habe ich
schöne Stunden verlebt. Es i
st aber
schwer, die
se Eindrücke zu analy
siren. Es war
kein Entzücken,
sondern ein lang
sam ent
stehendes Behagen, ein Sich-Zuhau
se-Fühlen bei
lieben↓lieben↓ Men
schen. Es i
st etwas wie das Gefühl der Treue, das mich mit ihnen
verbunden hat – obwohl doch dazu eigentlich eine lange Zeitdauer oder eine Entfernung
gehört. Aber ich weiß wirklich nicht, wie ichs nennen
soll. Etwas von
Heimaths-Empfindung, wie ge
sagt,
|war auch dabei.
Denn die zwei bringen eine Atmo
sphäre von Einfachheit, Sanftheit, Güte, Gefühlstiefe,
Liebenswürdigkeit und Natürlichkeit – das vollendet
Wieneri
sche mit einem Worte – mit, in der ich Vaterlandslo
ser allein,
man ein Stück Heimat habe. Bei Deinem
Bruder ahne ich das Alles mehr. Du weißt, er ver
schließt
sich – er hilft Einem nicht dazu, ihn zu ver
stehen – und man muß
sich
selb
st auf die
Suche machen, um, den ver
schiedenen Zügen folgend, die hier und da
seine äußere Maske
von Schweig
samkeit und
Irone↓Ironie↓ durchdringen,
sich
|das Bild
seiner, wie
ich glaube, bedeutenden Individualität zu
sammenzufinden. Auch habe ich ihn be
sser
ver
standen, als er mich. Er geht nicht
sehr auf mich ein – ich bin ihm zu fremd und
zu ver
schieden – auch i
st ja Men
schen
suchen nicht
sein
Metier, wie es das meine i
st. Er war mit mir verbunden durch allerlei
Äußeres – »netter Freund von
Arthur« –
A Amsee↓Almsee↓ –
Pariser Bei
sammen
sein. Ich habe ihn
aber voll zu genießen ge
sucht und habe ihn
sehr gern. Deine
Schwägerin hingegen i
st eine Seele, in die
man klar hinein
sieht, wie in den lichten Tag. So mild
|und
so gut! So wirklich! So verblüffend ge
scheit!
Und im Grunde von die
sem lieben kleinen
Ding vermuthe ich eine große
seeli
sche Stärke, wie übrigens
bei Deinem
stillen
Bruder
auch. Die
Beiden
pa
ssen zu
sammen, als hätte man
sie auf Be
stellung füreinander angefertigt. Nur
zwi
schen zwei
solchen Leuten i
st eine an
ständige Ehe möglich (obwohl es gewiß nicht
immer friedlich bei ihnen zugehen wird, denn
sie
sind beide, wie ge
sagt,
stolz und
stark.)
|Mir war es eine große, tiefgehende Freude,
und der Ab
schied hat mir wehgethan (was mir
schon lange nicht vorgekommen).
Was das Äußere anlangt,
so muß ich ein Zeugniß
seltenen Wohlverhaltens aus
stellen.
Ich habe Deinen
Bruder nicht
ein einziges Mal den Vornamen
seiner
Frau aus
sprechen gehört. Allerdings war er immer
sehr müde.
Dann gäbe es noch den Tag in
Versailles, den die
Herrschaften, wenn ich nicht irre, damit verbracht haben,
sich Brotkrumen in
den Mund zu werfen,
statt in die
Trianons zu gehen. Auch hat dein
Bruder |eine nicht immer ganz berechtigte Vorliebe für die
Dampftramway. Im Übrigen aber muß ich
von eine
r äußere
n Correctheit bekunden, die mich um
somehr überra
scht hat, als ich
sie nie vorher
bei einem jungen
Ehepaar gefunden. . . . .
Ich danke Dir herzlich
st für Deinen lieben Brief. Die
Übersetzung finde ich, unter
uns ge
sagt, nicht gut. Es fehlt die
Farbe. Daran i
st wohl zunäch
st die Sprache
schuld, die
selb
st
so chauvini
sti
sch i
st,
daß
sie
sich ent
schieden weigert, etwas auszudrücken, das nicht
sranzö
si
sch i
st. Dann
aber auch ein wenig
|der
Übersetzer, obwohl er
sich
ehrlich gemüht hat. . . . .
Am 15. oder 20. August
würde ich irgendwohin gehen, nach der
Schweiz
oder nach
Tirol, wenn ich irgend ein Ziel
hätte. Wäre es nicht möglich, Dich
schon um die
se Zeit irgendwo zu treffen?
Was das Zu
sammentreffen mit den
Andern anlangt,
so grüble ich darüber nach und kann
zu keinem Schlu
sse kommen. Laß’ Dir ein Wort von meinem Gemüthszuftande erzählen: Ich
habe
Wien verla
ssen, und das Leben dort i
st ohne
mich weitergegangen. Es konnte nicht gut
e etwas Anderes
|thun, mir aber bereitet das
Schmerz, trotz die
ser Ein
sicht. Über den Platze, auf dem ich ge
standen, i
st Gras
ge
spro
ssen – ein wenig auch in Euer Mitte (täu
schen wir uns nicht!) Er
st wieder durch
das Bei
sammen
sein mit Deinem
Bruder bekam ich ein Echo von einem »
Wien
ohne mich«, – und da ich altes dummes Thier mir das, aller Vernunft zum Trotze,
anders vorge
stellt,
so
thut gab mir das blutende Stiche ins Herz. Man kann
|sich
selb
st eben nicht von einem Orte abwe
send
vor
stellen, und die Phanta
sie
spinnt weiter von dem Augenblick an, als man noch da
war.
Hermann Bahr brachte mir den er
sten
fa↓ka↓lten Wind von draußen, Dein
Bruder (ohne es zu wi
ssen und zu wollen) war der Zweite.
Darum fürchte ich zunäch
st ein Bei
sammen
sein mit Euch Allen. Ich habe Ang
st, ich
× würde nur den Eindruck davon
forttragen,
daß ich nicht mehr da bin. Ich fürchte,
ich werde mich fremd aus Eurem Krei
se zurück
spiegeln – nicht ganz fremd, gewiß,
|aber doch im tief
sten Innern – und ich möchte nicht
gern
↓dieses↓ mein Ge
spen
st
sehen. Bleibe ich fort,
so
sagt
mir immer noch die Illu
sion, daß dies Alles nicht wahr i
st, und ich kann mich lang
sam
et entwöhnen. Die
ses Per
sönliche ver
schmilzt mit dem Materiellen: Es
sprießt da
allerlei Zukunftsvolles bei Euch in
Wien auf. Ich
aber bin nicht dabei, bin in einer andern fernen Bahn, und Niemand mehr denkt an
mich, ich gehöre nirgends mehr hin, zu keiner Gruppe, zu den Jungen nicht und nicht
zu den Alten. Ich
stehe
so
|in der zweiten Reihe und
sehe keine Aus
sicht, in die er
ste zu kommen. Ich könnte vielleicht mehr, als
politi
sche Corre
spondenzen
schreiben und hier und da ein Feuilleton – aber ich bringe
nichts zuftande. Die Erfolge, die ich erziele,
stehen in
schreiendem Mißverhältniß zu
dem
effort, den
ich aufwende. Du weißt, wie mich der Ehrgeiz verzehrt.
Uns Und
so fürchte ich bei die
sem Zu
sammentreffen auch in die
ser Hin
sicht
allerlei Schmerzliches – unab
sichtliche
Nuancen natürlich,
die deren lei
se Berührung eben nur einer Seele
wehthun
kön kann, wie der meinigen, der alle Haut
abge
schunden i
st, weil
sie
sich fortwährend an den harten
|äußern Dingen reibt. . . . .
Dies, mein lieber Freund, sollst Du lesen, ohne Zorn und ohne Spott – sollst darauf
eingehen mit Deinem feinen Verständniß – und sollst mir dann in Kürze ×××h×n↓sagen↓, ob ich es räthlich für mich ist zu kommen
oder nicht. Das soll dann die Entscheidung sein. . . .
Von ganzem Herzen freut es mich, aus Deinen Zeilen eine gewi
sse Befriedigung
herauszule
sen
, über das, was Du jetzt
schreib
st. Wenn wir uns treffen,
so lie
st Du es mir
|natürlich vor. Ein
stweilen aber beglückwün
sche
ich Dich, daß Du die
Arbeit soweit gefördert. Ich habe
so eine unbe
stimmte Ahnung, daß
sie gelungen
sein muß.
Denn ich
sehe aus Allerlei, daß Deine Kun
st jene Reife und Ruhe gewinnt, welche d
×↓a↓s
Meisterwerk schaffen
helfen. . . .
Sei von Herzen und in Treue begrüßt, mein lieber Arthur!
Dein
Paul Goldmann
Teufel, ist das ein langer Brief!