Ich habe mich
sehr mit Deinem lieben Briefe gefreut. Lange habe ich ihn erwartet und
wußte mir gar nicht zu erklären, warum ich
so ganz ohne Nachricht blieb. Ich war
auch zum
Speidel-Banket geladen und hätte darum
sehr gut nach
Wien kommen können, und die
N. Fr. Pr. hätte mir überdies die Rei
se bezahlen mü
ssen. Aber
wenn ich nach
Wien komme,
so komme ich
Deinetwegen. Und da ich
so gar nichts von Dir hörte, . . . . . . . . Aber la
ssen wir das! Mir hat meine Hypochondrie wieder einmal
× einen Streich ge
spielt, und es thut mir nun doppelt leid, um die
schönen
O
stertage gekommen zu
sein,
|die ich mit Dir hätte
verleben können.
Was Deine Furcht vor dem
Altwerden anlangt, – nein, wirklich, mit 38 Jahren ist man noch nicht alt.
Und wenn Du Dir das früher einmal als das Ende aller Dinge vorgestellt hast, so hast
Du eben früher das Leben nicht gekannt, wie man ja so Manches sich unrichtig
vorstellt, wenn man gar zu jung ist. Früher haben Dich die Frauen geliebt, weil
Du 20 Jahre alt warst; jetzt haben sie viel mehr Gründe, Dich zu lieben, und dabei
bist Du immer noch jung genug, daß es ihnen Vergnügen macht. Die Geliebten, die Dich seinerzeit durch ↓den↓ Hinweis auf
ihre beruhigt haben, daß ihre anderen Anbeter Ende der Dreißig seien, haben
diesen Anderen wahrscheinlich mit Hinweis auf Dich gesagt: »Das ist |ein unreifer Junge. Lieben aber kann man nur einen
wirklichen Mann.« Wie alt, glaubst Du, war Don Juan?
Jedenfalls nicht zwanzig Jahre. Meiner Ansicht nach hatte er zwischen 35 und 40, wenn
nicht darüber. . . . . . .
Auf Deine
Novelle freue ich mich
sehr. Was wird eigentlich aus der
Beatrice? Wann beginnen die Proben?
Wie beneide ich Dich um Dein Arbeiten! Ich selbst bringe es nicht zu Stande. Ich habe
jetzt, nach Wochen angespanntester Arbeit, auch wieder Wochen fast vollkommener Ruhe.
Das wäre die Zeit, etwas zu schaffen. Ich zermartere mir den Kopf, will heut ein
Drama schreiben, morgen eine Novelle. Aber Alles |zerrinnt wieder im Nebel. Und ich vergeude meine Zeit mit Besuchen, mit
überflüssiger Reporter-Arbeit und Anderem, wie ja überhaupt der Journalismus eine
große Zeitvertrödelung ist. Dabei habe ich das Gefühl, es steckt doch noch etwas mehr
in mir. Aber ich weiß nicht, was ich will. Ich würde Denjengen, wie einen Erlöser begrüßen, der mir einen Rath geben,
mich auf eine größere Arbeit hinweisen würde, die mein meinen Fähigkeiten entspräche. Aber, ich weiß, diesen Rath kann man sich nur selbst geben. Und bei mir finde ich keinen. Ich habe mich selten innerlich so elend
gefühlt, mich selten so verachtet. Große Prätentionen, und innerlich |Alles leer, leer! Meine einzige
Leistung ist, daß ich täglich fetter werde. . . .
Im Sommer werde ich wohl meinen Urlaub bekommen. Aber ich werde ihn in
Berlin verbringen mü
ssen, weil ich diesmal keine
fünf Mark übrig haben werde, um zu rei
sen. Der Haus
stand, den ich hier mit meiner
Mutter führe,
ver nimmt fa
st mein ganzes Gehalt in An
spruch. Der Re
st
geht für Schulden-Abzahlungen aller Art drauf; und Nebenverdien
st i
st ausge
schlo
ssen.
Nach
Paris fahre ich unter die
sen Um
ständen natürlich nicht.
|Kenn
st Du
Flauberts Briefe? Wenn
nicht,
so mußt Du
sie gleich le
sen, und zwar gleich den dritten und vierten
Band; die
Jugendbriefe in den er
sten beiden
sind
nicht intere
ssant. Ich habe
sie jetzt wieder vorgeholt. Jeder Men
sch, der
schreibt,
muß findet darin Tro
st, Befreiung und Belehrung.
Auf dem
speciell
schrift
stelleri
schen Gebiete geben
sie Einem fa
st
so viel, wie
Goethess Gespräche; nur
sind
sie nicht
so univer
sell men
schlich, wie die
se.
Flaubert i
st eben doch kein Men
sch,
sondern
nur nur ein
Franzo
se. . . .
Von
Gusti weiß
’ ich Dir nichts
|zu berichten. Das eigentliche Leben der beiden
Mädels bleibt mir
ver
schlo
ssen. Trotz aller Herzlichkeit der Beziehungen be
steht zwi
schen uns doch
keine rechte Sympathie, und innerlich
stehen wir uns fremd gegenüber.
Was macht
Richard? Arbeitet er an
seinem
Drama? Und
was wird er im Sommer machen? Wir
st Du mit ihm zu
sammen
sein?
Ge
stern
sprach ich wieder einmal
Kerr nach langer Pau
se. Er
scheint eine große
Liebe zu
haben. Ich mag ihn
sehr gern trotz mancher Ge
schmack-Defekte; aber er
schließt
sich
mir nicht auf.
|Und wir bleiben fremd.
Wann
sehe ich Dich wieder? Wann komm
st Du nach
Berlin?
Viele treue Grüße!
Dein
Paul Goldmann
Meine
Mutter dankt für
Deine Grüße und erwidert
sie herzlich
st.