Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 28. 8. [1900]

28. August.

      Ein altes Haus auf Passes Höh’n
      Beschloß die erste Strecke;
      Da klang Harmonika-Getön
      Hervor aus dunkler Ecke.

      Gelehnt an regenfeuchte Wand,
      Von Kälte starr die Glieder,
      Stand dort ein blinder Musikant
      Und spielte seine Lieder.

      Er spielte, und sein Auge war
      Gerichtet starr nach oben
      Und wurde doch kein Licht gewahr,
      So hoch es auch erhoben.

      |Er spielte lust’ge Melodie’n
      Und sang dazu ganz sachte;
      Das Singen fast ein Weinen schien,
      Nur daß er dazu lachte.

      Wie thut mir Deine bitt’re Noth,
      Du armer Mann, so wehe!
      Du mit den Augen leer und todt,
      Verzeih’ mir, daß ich sehe!

      Bin ich gleich sehend, seh’ ich nicht,
      Du kannst mir leicht vergeben.
      Das Licht, das heißgeliebte Licht,
      Ich such’s im dunklen Leben.

      Und such’ es heut und immerzu
      Und seh’ es nimmer gleißen.
      Oh armer blinder Bettler Du,
      Du sollst mich Bruder heißen! . . . . . . 

      Der Wagen rollet aus dem Thor,
      Klimmt dann auf steilem Pfade,
      Und lange klingt mir noch im Ohr
      Die Jammer-Serenade.
Gruß!
 P. G.
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar