6. Juli 1929.
Hochverehrter, lieber Herr Doktor!
Ich bin immer so erfreut, Ihre Schrift und Unterschrift zu sehen. Eigentlich hatte
ich im Stillen gehofft, Ihnen bei der Eröffnung des
Pen-Klubs in
Wien zu begegnen, aber ich
war nur zwei Tage dort. Eine Hemmung, die ich selbst nicht zu erklären vermag, hält
mich seit Jahren von
Wien und
Berlin weg. Nur so ist es zu erklären, dass ich es nicht wagte,
mich bei Ihnen zu melden.
Roda Roda hat einen sehr richtigen Gedanken,
wenn er die Manuskripte entweder als ganze Sammlung oder in Serien versteigern lassen
will, denn es entstünden sonst leicht aus der Verschiedenheit der erzielten Preise
Rivalitäten und die überflüssigsten Beleidigungen. Legt er immer drei oder vier
Manuskripte zusammen, so kann jeder einzelne von den dreien oder vieren sich
freundlich einbilden, er sei das Haupt- und Kapitalstück gewesen. Während in allen
anderen Ländern die Manuskripte der lebenden Schriftsteller rasend teuer sind (ein
Shaw oder
Galsworthy Manuskript von einigem Umfang würde nicht unter hunderttausend
Mark zu haben sein), pflegt
Deutschland als Land
der Historie nur die Vergangenheit und hat für gegenwärtige Autoren kaum nennenswerte
Preise. Immerhin schätze ich doch, dass ein solches, der
deutschen Literatur dauernd angehöriges Werk wie der »
Grüne Kakadu« mindestens
selbst tausend Mark einbrächte, umso mehr, als ich mich
nicht erinnere,
nie↓je↓mals andere Arbeiten von Ihnen als Gedichte und Briefe im »Handel« gesehen zu
haben. Es muss aber auf jeden Fall – und da hat
Roda
Roda ganz recht – eine Form gefunden werden,
|welche die Spender wenigstens davor
schützt, dass sie eine gewisse öffentliche Unfreundlichkeit erleiden, indem ihre
Manuskripte keinen Käufer finden, was natürlich auf einem puren Zufall beruhen kann.
Aber Sie kennen ja die Zeitungen, die sich's nicht verkneifen werden, eine derartige
Zufälligkeit literarisch zu kommentieren. Darum bin ich unbedingt gegen jede
Vereinzelnung.
Sommerpläne habe ich noch gar keine, alles hängt davon ab, ob ein
Stück, das ich schrieb und mit dem ich
fertig zu sein glaubte, wirklich fertig wird, aber ich bin mit dem letzten Akt nicht
zufrieden und gebe es nicht aus der Hand, ehe nicht der
bekannte Engel eines neuen Einfalls erschienen ist, mit dem ich ringen
kann. Gerade weil mir das
Stück wichtig ist, wäre es mir ein besonderes Glück gewesen, Ihren Rat zu
erbitten, und ein Gespräch hätte mich unermesslich gefördert.
Gerade i↓I↓n solchen Verlegenheiten zündet oft ein einziges
schöpferisches Wort. Vielleicht also winkt mir die besondere Freude, Ihnen irgendwo
zu begegnen. Ich will wohl auch für einige Tage in die
Schweiz oder wenn nicht dorthin, nach
Ferleiten oder einen anderen versteckteren Ort.
Bitte, wagen Sie eine Postkarte, ehe Sie abreisen, die mir sagt, wohin Sie wandern;
es wäre mir ein sehr tiefes und innerliches Bedürfnis, mit Ihnen beisammen zu sein.
So selten ich Sie sehe, habe ich doch das Gefühl, Sie von Jahr zu Jahr besser zu
verstehen und die Gewissheit, Sie noch immer inniger zu lieben.
Ihr getreu ergebener
[handschriftlich:] Stefan Zweig