Elsa Plessner an Arthur Schnitzler, 13. 1. 1897

|Meran, Pension Wolf, den 13. 1. 97.

Verehrter, lieber, guter Herr Doctor!

Haben Sie Sünden? – Wenn ja, nun so erkläre ich, dass sie Ihnen in Bausch und Bogen verziehen sind – blos um des guten Werkes willen, das Sie an mir thun! – – Ohne Scherz – ich kann Ihnen das wirklich nie danken, wüsste auch nicht wie – was Sie mir durch Ihren Rath und Ihre beispiellose Theilnahme für meine literarischen Schmerzen an Güte und Liebenswürdigkeit zuwenden. – – – 
Aber dass ich an mangelnder Einsicht in das Wesen meiner eigenen Entwicklung leide ist leider nicht richtig. Zum unglück kenne ich mich so genau wie ich – z. B. Ihren Anatol kenne! – Ich weiß es ganz genau, dass ich an eine gewisse Grenze gekommen bin – etwas, das »Halt« ruft –. Ich bin so furchtbar leer – wie eine alte Erbsenhülse |ich habe nichts mehr zu geben – und das ist auch gar nicht zu verwundern. Ich – als Künstlerin, kann nur etwas sein, wenn ich subjectiv bin – darum kann mir das Sehen und Denken allein nicht viel bringen. Sie haben ganz recht – ich müsste was sein – aber ich bin eben nichts. Mein Leben in Ordnung bringen – ? – Das ist so hin gesagt – und Sie könnens ja auch! – Sie gehen und packen mit zwei Händen was sich packen lässt – Sie holen sich, was Sie brauchen! Aber ich? – Ich muss warten bis gnädig etwas zu mir kommt – das kann ich dann höchstens kritisieren! – Das hab' ich auch bis jetzt gethan – alle meine Versuche in der Kunst waren nichts als ein »Nein« sagen! Vielleicht entsinnen sich? Aber damit kommt man nur kurze Zeit aus. Jetzt endlich hab ich das Brünnlein ausgeschöpft, mein bißchen Fond verbraucht – aber Neues ist nicht hinzugekommen! – Und das ist es! – Variationen auf der G Saite fabriciereren? – Ich nicht! – Auch finde ich nicht mehr zurück. Bis jetzt hab ich nur gefühlt und gedacht – »das muss anders sein – |aber wie muss es sein? – Darum sind die »Orchideen« verhauen, weil ich zum ersten mal versuchte, positiv zu sein – etwas zu gestalten – oder besser – zu construiren, was ich eben nicht kenne, nicht habe! – Da hat eben das Denken und Sehen Schiffbruch gelitten – denn Denken, glaub ich, ist immer mehr oder weniger unpersönlich – und meine ganze Kraft liegt im Persönlichen. – Die verschwommene, träumerische Weichheit, das Knochenlose, das den größten Reiz z. B. des »Heimweh« bildet – ist auch dessen Schwäche, aber das bin ich, das beherrsche ich, da bin ich zu Hause – – – gewesen; aber jetzt bin ich delogirt und habe noch keine andre Unterkunft! – Ich bin an etwas undefinirbarem angeprallt – und kann nicht weiter! – Gedacht und gesehen habe ich so viel – aber, verehrter Herr Doctor, ich komme mir vor wie eine Perlmuschel. – Der kostbare Perlstoff ist da – wenn nur das winzige Körnchen auch da wäre, das die Perle erst hervorruft! – – Es ist eine furchtbare, tote Zeit!! – Es muss etwas Neues kommen. Und täglich und stündlich hofft man – und dann ist es doch nicht gekommen. Ich habe so viel – so eine Menge in mir – aber das muss erst frei gemacht werden und ich weiß nicht womit – ! Und wenn ich doch so gerne arbeiten möchte – – Ich habe immer das Gefühl, dass Alles an mir vorbeigeht, das wichtigste, und – ich weiß nicht wie – wie wenn ich auf einer Felsenspitze mitten im Meer säße und es wäre immer Ebbe und ich warte auf die Flut. – –
Und ich soll etwas sein? – Soll mir mein Leben gestalten? – Das fließt auseinander – wie soll ich das machen!? – Und das reibt wahnsinnig auf, dieser Zustand –.
Bitte, verehrter Herr Doctor – seien Sie nicht böse über diesen confusen Erguß – aber Ihre liebenswürdigen Zeilen haben der Tonne das Spundloch eingeschlagen. Nochmals meinen herzlichsten Dank! –
 Elsa Plessner