Verehrter, lieber, guter Herr Doctor!
Haben Sie Sünden? – Wenn ja, nun so erkläre ich, dass sie Ihnen in Bausch und Bogen
verziehen sind – blos um des guten Werkes willen, das Sie an mir thun! – – Ohne
Scherz – ich kann Ihnen das wirklich nie danken, wüsste auch nicht wie – was Sie mir
durch Ihren Rath und Ihre beispiellose Theilnahme für meine literarischen Schmerzen
an Güte und Liebenswürdigkeit zuwenden. – – –
Aber dass ich
↓an↓ mangelnder Einsicht in das Wesen meiner
eigenen Entwicklung leide ist
leider nicht richtig.
Zum unglück kenne ich mich so genau wie ich – z. B. Ihren
Anatol kenne! – Ich weiß es ganz genau, dass ich an eine
gewisse Grenze gekommen bin – etwas, das »Halt« ruft –. Ich bin so furchtbar leer
–
wie eine alte Erbsenhülse
|ich habe nichts mehr zu geben – und das ist
auch gar nicht zu verwundern. Ich – als Künstlerin, kann nur etwas sein, wenn ich
subjectiv bin – darum kann mir das Sehen und Denken
↓allein↓
nicht viel bringen. Sie haben ganz recht – ich müsste was
sein – aber ich bin eben nichts. Mein Leben in Ordnung bringen – ? – Das ist
so hin gesagt – und
Sie könnens ja auch! – Sie gehen
und packen mit zwei Händen was sich packen lässt – Sie holen sich, was Sie brauchen!
Aber ich? – Ich muss warten bis gnädig etwas zu mir kommt – das kann ich
↓dann↓ höchstens kritisieren! – Das hab' ich auch bis jetzt
gethan – alle meine Versuche in der Kunst waren nichts als ein »Nein« sagen!
Vielleicht entsinnen sich? Aber damit kommt man nur kurze Zeit aus. Jetzt endlich
hab
ich das Brünnlein ausgeschöpft, mein bißchen Fond verbraucht – aber
Neues ist
nicht
hinzugekommen! – Und das ist es! – Variationen auf der G Saite fabriciereren? – Ich
nicht! – Auch finde ich nicht mehr zurück. Bis jetzt hab ich nur gefühlt und gedacht
– »das muss
A↓a↓nders sein –
|aber wie muss es sein? – Darum sind die »
Orchideen« verhauen, weil ich zum ersten mal
versuchte, positiv zu sein – etwas zu gestalten – oder besser – zu construiren, was
ich eben nicht kenne, nicht
habe! – Da hat eben das
Denken und Sehen Schiffbruch gelitten – denn
Denken,
glaub ich, ist immer mehr oder weniger unpersönlich – und meine ganze Kraft liegt
im
Persönlichen. – Die verschwommene
n, träumerische
Weichheit, das Knochenlose, das den größten Reiz z. B. des »
Heimweh« bildet – ist auch dessen Schwäche, aber das bin
ich, das beherrsche ich, da bin ich zu Hause – – –
gewesen; aber jetzt bin ich delogirt und habe noch keine andre Unterkunft! – Ich bin
an etwas undefinirbarem angeprallt – und kann nicht weiter! – Gedacht und gesehen
habe ich so viel – aber, verehrter Herr Doctor, ich komme mir vor wie eine
Perlmuschel. – Der kostbare Perlstoff ist da – wenn nur das winzige Körnchen auch
da
wäre, das die Perle erst hervorruft! – – Es ist eine furchtbare, tote Zeit!! – Es
muss etwas Neues kommen. Und täglich und stündlich hofft man – und dann ist es doch
nicht gekommen. Ich habe so viel – so eine Menge in mir – aber das muss erst frei
gemacht werden und ich weiß nicht womit – ! Und wenn ich doch so gerne arbeiten
möchte – – Ich habe immer das Gefühl, dass Alles an mir vorbeigeht, das wichtigste,
und – ich weiß nicht wie – wie wenn ich auf einer Felsenspitze mitten im Meer säße
und es wäre immer Ebbe und ich warte auf die Flut. – –
Und ich soll etwas sein? – Soll mir mein Leben gestalten? – Das fließt auseinander
–
wie soll ich das machen!? – Und das reibt wahnsinnig auf, dieser Zustand –.
Bitte, verehrter Herr Doctor – seien Sie nicht böse über diesen confusen Erguß – aber
Ihre liebenswürdigen Zeilen haben der Tonne
das Spundloch eingeschlagen. Nochmals meinen herzlichsten Dank! –