Elsa Plessner an Arthur Schnitzler, 9. 1. 1900

den 9. Januar 1900

Verehrter Herr Doctor!

Nach langer Zeit erlaube ich mir heute wieder einmal Sie an mein bescheidenes Vorhandensein zu erinnern und Ihr Urtheil über eine Arbeit zu erbitten. Es ist wiederum ein Stück, ein dreiactiges Schauspiel, das ich Ihrer Kritik unterbreite, indem ich die leise Hoffnung hege, dass dieses – mein letztes Opus – Ihnen nicht allzusehr missfallen dürfte.
|Ich kann es noch immer nicht verschmerzen, dass ich Ihnen – der Sie doch seinerzeit einige Hoffnungen auf mein Talent setzten – fortwährend Enttäuschungen bereitet habe und wenn ich auch ein Jahr lang von mir nichts habe hören lassen, so dürfen Sie nicht glauben, dass mich Ihr abfälliges Utheil über das letzte Stück abgeschreckt habe. Welches äußerliche Schicksal dieses Schauspiel auch erleben möge – Sie bleiben doch die Verkörperung meines beßeren, literarischen Ich – d. h. ich habe so eine |dunkle Empfindung als ob ich Ihnen Rechenschaft schuldig wäre, über die Verwaltung meines Talentes – .
Diese meine Ansicht ist ja vielleicht etwas zeitraubend für Sie – aber wenn etwas Ersprießliches dabei herauskommen sollte, glaube ich doch, dass es Ihnen ein wenig Spaß macht.
Beifolgende feingeäderte Seelengeschichte zartester Structur dürfte Ihnen beweisen, dass ich mich bemühe, nicht zu verflachen. Ob mein Bemühen auch |Erfolg hatte – das bitte ich Sie, mir zu sagen. Besonders der dritte Act liegt mir, am Herzen und ich erwarte Ihr Urtheil über »das erste Capitel« mit unbeschreiblicher Spannung.
Seien Sie mir nicht böse über diesen neuerlichen Überfall und üben Sie – wie immer – strenges Recht.
Mit vorzüglicher Hochachtung
 Elsa Plessner
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