Arthur Schnitzler an Stefan Zweig, 16. 1. 1928

|Dr Arthur Schnitzler 16. 1. 1928.

Lieber und verehrter Doktor Zweig.

Ich danke Ihnen herzlichst für all das Herzliche und Gute, das Sie zu meinem »Buch der Sprüche und Bedenken« sagen und kann auch begreifen, dass manche Bemerkungen, die Ihnen nach Unmut und Empfindlichkeit zu schmecken scheinen, ein wenig verdrossen haben. Aber ich glaube, auch diese Stellen gehören in das Buch, es wäre eine Unaufrichtigkeit, vielleicht wirklich eine Art von Ueberheblichkeit gewesen, zu verschweigen, dass man gelegentlich auch solchen Stimmungen wenn auch nicht gerade »unterworfen« ist, sie gelegentlich doch durchzumachen hat. Ich glaube sogar, dass mir das seltener passiert als vielen Andern, die in der Oeffentlichkeit stehen und dass ich es viel rascher überwinde. Und ich glaube sogar, dass diese Verstimmungen oder Ekelgefühle oder Empörungen zuweilen oder zum Teil eher allgemeinen als persönlichen Motiven entstammen. Leichtfertigkeit, Unbedenklichkeit und Unverschämtheit einer gewissen Sorte von Kritik hat schon früh meine Aufmerksamkeit und meinen Unwillen erregt, zu einer Zeit schon als ich für meine Person mit der Kritik nicht das Geringste zu tun hatte. Denken Sie, dass einer meiner ersten essayistischen Versuche – ich war damals 18 Jahre alt – den Titel führte »Ueber die Grenzen der erlaubten Kritik«. Also hier war schon eine Art Problem für mich, lange ehe ich private Erfahrungen zu sammeln begann und es wäre sehr möglich, dass ich über das Problem als solches recht bald mich etwas ausführlicher äussern werde. Es wird dann gewiss nicht schaden, wenn meine Bemerkungen von Salz und Pfeffer eigener Erlebnisse ein wenig gewürzt sein sollten.
Ich höre, dass in Russland demnächst eine Uebersetzung Ihrer Gesammelten Werke erscheinen soll. (Richard Specht hat mich dieser Tage seine wohlgelungene Vorrede dazu lesen lassen). Nun sind |doch gewiss vorher schon viele Ihrer Werke in russischer Sprache herausgekommen, ohne dass man Sie dafür bezahlt oder auch nur davon verständigt hätte. Mir ist das so ziemlich mit allen meinen Werken geschehen. Werden nun für Ihre russische Gesamtausgabe diese nichtautorisierten Uebersetzungen benützt? Sind Sie gegen den Weitervertrieb dieser älteren, gestohlenen Ausgaben auf irgend eine Weise geschützt? Können Sie mir, wenn auch nicht ziffermässig genau, doch ein Wort über die Bedingungen sagen, zu welchen jener (welcher?) russische Verlag Ihre Gesamtausgabe erworben hat? Ich meinerseits werde vorläufig von den bolschewistischen Verlegern (auf legalem Wege) genau so bestohlen, wie früher von den zaristischen und es scheint auch nicht zu gelingen meinen neuen Roman vor Erscheinen in deutscher Ausgabe, die nahe bevorsteht, in Russland unterzubringen. Natürlich wird er, sobald er nur in deutscher Sprache da ist, wie alle meine früheren Sachen »honorarfrei« ins Russische übersetzt werden. Vielleicht können Sie mir zu diesem Thema gelegentlich etwas Nützliches sagen?
An Ihren meisterlichen »Sternstunden« der Menschheit habe ich eine rechte Freude gehabt und wünsche das versprochene neue »Dreimeisterbuch« und die kleine Komödie bald herbei. Auch ich bin mit allerlei, wenn auch zum Teil nur sehr spielerisch, beschäftigt.
Auf Wiedersehen und herzlichste Grüsse
[handschriftlich:] Ihr
 Arthur Schnitzler
[maschinenschriftlich:] Herrn Dr. Stephan Zweig,
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