Sigmund Freud an Arthur Schnitzler, 8. 5. 1906

|8. 5. 06.
Prof. Dr. Freud IX., Berggasse 19.

Verehrter Herr Doktor

Seit vielen Jahren bin ich mir der weit reichenden Übereinstimmung bewußt, die zwischen Ihren u meinen Auffassungen mancher psychologischer und erotischer Probleme besteht und kürzlich habe ich ja den Mut gefunden eine solche ausdrücklich hervorzuheben (Bruchstück einer Hysterieanalyse 1905). Ich habe mich oft verwundert gefragt, woher Sie diese oder jene geheime Kenntniß nehmen könnten, die ich mir durch mühseliges Erforschen des Objektes erworben und endlich kam ich dazu, den Dichter zu beneiden, den ich sonst bewundert.
|Nun mögen Sie erraten, wie sehr mich die Zeilen erfreut und erhoben, in denen Sie mir sagen, daß auch Sie aus meinen Schriften Anregung geschöpft haben. Es kränkt mich fast, daß ich 50 Jahre alt werden mußte, um etwas so Ehrenvolles zu erfahren.
Ihr in Verehrung ergebener
 Dr Freud
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