|Neue Freie Presse. Privatbrief
Redaction:
Wien 23 XII 900

Lieber Doctor,

gestern hatte ich Schreibtag, kam erst Nachts ins Bureau, wo ich Ihren Brief fand.
Dass wir Ihre Novelle nicht ins Weihnachtsblatt bringen können, entdeckten wir, wie wunderlich Ihnen das auch scheinen mag, erst an dem Tage wo ich Ihnen schrieb – Donnerstag oder Freitag. Ich setzte mich gleich hin, um Ihnen diese unangenehme Mittheilung zu machen, nachdem Benedikt aus der Setzerei gekommen war u. es mir gesagthatte. Eine unfreundliche Absicht hatte dabei weder er noch ich, wozu hätten wir Sie sonst aufgefordert? Es war vielmehr beschlossen, dass Ihre Novelle in der Weihnachtsbeilage unterm Strich kommen u. weiterlaufen ich glaube, unter den Annonceblättern weiter so wie die Fachblätter, muss aber gestehen, dass ich darüber nicht ganz genau unterrichtet wurde; es geht mich auch nichts an. sollte. Diese technischen |Details werden Sie nicht interessiren. Genug, das Wegbleiben Ihrer Arbeit hat rein typographische Gründe. Wir hätten nicht einen, sondern alle anderen Beiträge weglassen müssen.
Für die Weihnachtsbeilage mussten wir also auf Ihre Novelle verzichten. Ihrem Wunsch, die Novelle nur in einem Stück, nicht in Fortsetzungen erscheinen zu lassen, werde ich mit den Herausgebern besprechen u. werde mich bemühen, sie zur Einlegung eines Blattes zu bewegen, u. zw. so bald als möglich. Sie werden meine Antwort in den nächsten Tagen haben.
Ich wundere mich nur, dass Sie diese Sache so übel aufnehmen, nachdem Ihnen die N Fr Presse doch wiederholte und genügende Beweise einer freundlichen Gesinnung gegeben hat. Von mir persönlich will ich da gar nicht sprechen.
Mit bestem Gruß
Ihr ergebener
Herzl
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