|23. 6. 95.
Mein lieber Freund,
Dank für Ihren Brief. Die Sache liegt in
Prag,
eine Entscheidung ist noch nicht da. Das Ganze ist jetzt in den Hintergrund meines
Bewusstseins getreten.
Aber Sie hatten damals Recht, als Sie mit Ihrem klugen Blick sahen, dass ich mit
dieser einen Erruption mir die Sache nicht vom Herzen und nicht von der Seele geladen
habe.
In den Wochen, seit ich Ihnen nicht geschrieben, ist etwas Anderes, Neues, viel
Grösseres in mir aufgeschossen, was mir jetzt wie ein Basaltberg vorkommt, vielleicht
weil ich noch so erschüttert bin und das Entstandene noch so fürchterlich glüht.
Wochen der ungeheuerlichsten Poduktionsaufregung, in der ich manchmal fürchtete,
verrückt zu werden.
Es sind vorläufig nur die Planskizzen – sie sind schon ein ganzes
Buch.
Wir werden, wenn wir im Sommer im
Salzkammergut
Zusammentreffen, darüber reden.
Dieses
Werk ist jedenfalls für
mich und mein ferneres Leben von der grössten Bedeutung – vielleicht auch für andere
Menschen. Denn was mich annehmen lässt, dass ich etwas Wertvolles entworfen habe,
ist
die Tatsache, dass ich dabei keine Sekunde lang literatenhaft an mich gedacht habe,
sondern immer an andere Menschen, welche schwer leiden.
Noch ein paar Tage Arbeit, und die Sache ist so fertig, dass sie nicht mehr verloren
gehen kann, auch wenn ich durch Umstände des Lebens an der munitiösen Ausführung
verhindert werden sollte.
Dann verlasse ich
Paris auf einige Tage, um mich
zu erholen. Mein Urlaub ist das noch nicht; den trete ich erst Mitte oder Ende Juli
an.
Sie kennen das liebe Gedicht von
Heyse
»
an den Künstler«, das ich oft citiere. Da heisst es
Das ist meine Stimmung.
Ich habe den Stoss bisheriger Notizen im
Comptoir d’Escompte deponiert, in der Kasse Nr. 6, Fach Nr. 2. Um zu öffnen muss man jeden der drei
Knöpfe siebenmal nach rechts drücken. Jemand muss das wissen, falls ich »
hinfahre über Nacht.«
Das sind jetzt Sie.
Komme ich Ihnen aufgeregt vor? Ich bin es nicht. Ich war nie in einer so glücklichen
hohen Stimmung. Ich denke nicht ans Sterben, sondern an ein Leben voll männlicher
Taten, das alles Niedere, Wüste, Verworrene, das je in mir gewesen sein mag,
auslöscht, aufhebt und alle mit mir versöhnt, so wie ich mich durch diese Arbeit mit
allen versöhnt habe.
Ich grüsse Sie herzlich
Ihr Freund
Herzl