Verehrter Freund!

Ihre freundlichen Worte haben meine Mutter und meinen Bruder sehr erfreut, und ich danke Ihnen in ihrem und meinem Namen aufs wärmste. –
Dass ich Ihnen nichts von meinen Sachen schicke, nach denen Sie sich in so liebenswürdiger Weise erkundigen, liegt wirklich weniger an mir als an den Verlegern, die sich noch |immer sehr lang bitten lassen, bevor sie was von mir drucken. Nun, im Herbst erscheint eine Novelle von mir bei Fischer, und ich will mir alle Mühe geben, anderes, das nun schon fertig im Pult liegt, rascher in die Oeffentlichkeit zu befördern, als es mir bisher zu gelingen pflegte. Im ganzen darf ich sagen, dß ich in den letzten Monaten nicht |sehr nachläßig war, dass mir mancherlei einfällt und dß ich zuweilen die Empfindung habe, dass ich manches von diesem Mancherlei werde zu gutem Ende führen können. –
Ich zweifle nicht, dß mein Freund Paul Ihnen meine Grüße an Sie, die ich den Briefen an ihn häufig beifüge, regelmäßig bestellt, und |Ihnen auch manchmal sagt – was sich mündlich und durch einen Dritten besser sagen läßt als in einem Brief, wo es einen süßlich faden Beigeschmack von Höflichkeit oder gar Förmlichkeit bekommt – nemlich daß ich das wenige, was mir von Ihnen zugänglich ist, stets mit wahrhaftem Genuße lese. Besonders im Laufe des letzten Jahres haben Sie einige kleine Kunstwerke |von Feuilletons geschaffen, die nicht mit den Zeitungen selbst verwehen dürften. Sie wissen das selbst und man darf es Ihnen wohl so unbefangen ins Gesicht sagen wie eine Grobheit. – Und die Bühne? Ist Ihre Lust zum dramatischen gänzlich durch den Ekel erstickt worden? Wie oft hab' ich in diesem Winter an Ihre schönen und wahren Worte denken müssen, die Sie mir lang vor der Aufführung meines »Märchens« geschrieben haben. |Ich habe von allem zu kosten bekommen, was die Aufführung eines Stückes verletzendes bringen kann: wie irgend einer kann ich mitreden, wenn von der Albernheit des Dichters, der Verlegenheit der Komödianten und der vergnügten Gefälligkeit der Recensenten gesprochen wird, – wobei ich vom Publikum gänzlich schweigen will, das albern, verlogenen und gefällig ist. – Es ist nicht anzunehmen, dass ich anders reden würde, wenn |ich zufällig einen Erfolg gehabt hätte, nur setzte ich hinzu: Trotzdem. . . .  etc. – und es klänge großartiger. –
– Wenn Sie in Aussee sein werden, so hoffe ich die Freude zu haben Sie zu sehen, da ich im August meine Mama in Ischl besuchen werde. Vielleicht lassen Sie aber bis dahin noch ein freundliches Wort von sich hören. Haben Sie die Güte mich Ihrer w. Frau Gemahlin bestens zu empfehlen, und seien Sie, mein
|lieber Freund, aufs herzlichste
gegrüßt. Ihr ArthurSchnitzler
Wien, 5. 7. 94
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