|25. 1. 1926.
Liebe und verehrte Frau Hofrätin.
Vielen Dank für Ihre freundliche
Nachricht. Bei meinen Gesprächen mit
Gemier
hatte ich gleich den Eindruck, dass er das
»
Weite Land« eigentlich noch nicht kennt.
Ob er Schade, dass er es nun doch vor der
Aufführung an seinem
Theater gelesen hat. Es
ist ja erfreulich, dass ihm das
Stück so gut
gefällt – ob er der richtige Darsteller für
den
Hofreiter ist kann ich nicht beurteilen.
Sein Aeusseres spricht ja nicht dafür. Wir werden ja sehen wie sich die Sache weiter
entwickelt, eventuell kann ja auch
Lenormand einen Einfluss auf die Besetzung nehmen –
glauben Sie nicht? Und ich nehme an, dass
sich die Sache noch einige Zeit hinausschieben wird.
Ueber die
Aufführung des »
Tapferen Cassian« werden Sie mir vielleicht doch
noch persönlich berichten können, da ja Ihr
letzter Brief noch nichts über den Termin Ihrer Rückreise aussagt.
Was den »Reigen« anbelangt, so habe ich schon
im vorigen Jahre (anlässlich der
einmaligen unberechtigten Aufführung)
meinen
ganz ausdrücklich meinen Wunsch kundgegeben,
dass das
Stück vorläufig nicht auf der
französischen Bühne erscheine. Erinnere ich mich
recht, so habe ich das damals an
Robert des Flers sozusagen offiziös geschrieben. Den »
Reigen« darf man in
Paris erst öffentlich aufführen, wenn ich mit einem oder ein paar anderen
|Stücken Erfolg gehabt habe. Bisher hat sich
niemand vom
Theater Albert Ier bei mir gemeldet und ich protestiere schon
heute gegen die
Absicht der Direktion den »
Reigen« auf die
Bühne zu bringen. (»
Reigen« ist übrigens bei
Stock erschienen in einer recht schlechten
Uebersetzung).
Nun zu »
Fräulein Else«
. Vor allem
bin ich absolut dagegen, dass die
Novelle in
einem Band zusammen mit anderen Novellen von
mir erscheint. Es existieren bereits Uebersetzungen in
England und
Amerika, auch in
Ungarn; in
Holland, in der
Czechoslowakei etc.
werden welche vorbereitet. Ueberall erscheint
die
Novelle als Buch für sich. Und es gibt
manche
französische Bücher, sogar Romane, die
keinen dickeren Band ausmachen, als die »
Else«
ausmachen würde. Uebrigens wird ja Herr
Delamain sich erst ein Urteil bilden können,
wenn er die
Novelle gelesen hat. Ich sende
ihnen ihm
heute das
Buch zu. Die
Uebersetzung
der Frau
Clara Pollaczek sende ich aber erst
an Sie, verehrte Freundin. Ich glaube, sie ist
vorzüglich und viel höher zu werten als eine
sogenannte Rohübersetzung. Ich halte es sogar für möglich, dass die
Uebersetzung so
wie sie ist, wenn auch vielleicht mit einigen
Retouchen, ohneweiters veröffentlicht werden
könnte. Nun aber wird selbstverständlich bei
jedem Menschen, der erfährt, dass die
Uebersetzung von jemandem stammt, dessen Muttersprache nicht das
Französische ist, ein Vorurteil zu überwinden sein und ich frage daher
an, ob es nicht möglich wäre Herrn
Delamain
die
Uebersetzung der Frau
P. vorläufig ohne
Namensnennung, als eine ganz ernst und definitiv gemeinte zu übergeben. Wie wäre es,
wenn
Sie die
Uebersetzung zuerst einmal einem vollkommen objektiven Beurteiler, z. E.
Geraldy oder
|Lenormand lesen liessen, ohne ihnen zu sagen
dass eine
Oesterreicherin und keine gebürtige
Französin diese Uebersetzung verfasst hat. Natürlich dürfte man ihnen auch
nicht unter dem Siegel der Verschwiegenheit
verraten, wie sich die Sache wirklich verhält. Bitte sagen sie mir, wie sie darüber
denken. In jedem Falle ist uns, da nun einmal diese »
Rohübersetzung« vorliegt, jede
Art von Verhandlung sehr erleichtert und
wir können ausser
Delamain immerhin auch
Grasset und andere Verleger in Betracht
ziehen
. Glauben sie nicht? Keineswegs wollen wir aber das Verlagsrecht ohne ein anständiges
a valoir aus der Hand geben.
Wollen Sie nicht auch gelegentlich
Delamain fragen, ob noch Exemplare von »
Anatol« und von »
La Ronde« vorhanden sind?
Es müsste nun wohl auch offiziell zu konstatieren sein, dass für neue Auflagen urheberrechtlich
auch das Recht für
Frankreichheute wieder in meiner Hand ist und dass
unbedingt diese alten Uebersetzungen nicht
mehr neu aufgelegt werden dürfen. Von
Stock
hatte ich für jedes der beiden Bücher –
200 Francs erhalten. Es ist kaum denkbar, dass
ein Verlag sich einbilden könnte dadurch
auf ewige Zeiten ein Recht erworben zu haben. Natürlich würde nichts dagegen sprechen
mit
Delamain auch über
↓»
↓Reigen
↓«↓ und
»
Anatole« von neuem abzuschliessen.
Ich schreibe an
Delamainheute
nur ganz kurz, dass ich prinzipiell gegen
die Vereinigung von »
Fräulein Else« mit anderen Novellen in einem Band bin und dass
Sie, verehrte Frau Hofrätin, binnen kurzem
die
französische Uebersetzung ihm übermitteln
|
werden. Ich bin noch bis ca.
4. Februar in
Wien und hoffe am
15. wieder von
Berlin
aus zurück zu sein.
Frau Hofrätin Bertha Zuckerkandl,
Paris.