Ich habe zwiefach zu danken und beide Male sehr herzlich: sowohl für Ihren lieben
Brief, der mich unendlich erfreute, und Ihr
Buch, das mich überrascht hat – Ihr Fleiss gerade in den letzten
Werken wirkt
auf uns Jüngere beschämend. Nichts selbstverständlicher, als dass ich sofort das
Buch zur Hand nahm und Ihnen so
heute mit dem Danke zugleich ungehemmt meinen Eindruck aussprechen darf.
Sie haben sich ein ungeheuer schweres Problem gestellt, denn nichts ist in der Kunst
schwieriger und undankbarer darzustellen als das Negative, eine gewisse Monotonie
des
Glücks und des Unglücks, die Tragik der Hoffnungslosigkeit. Ich weiss es gerade
jetzt, weil ich eine grössere
Arbeit mitten im Werke aufgegeben habe, wo
gleichfalls ein armer Lebenslauf geschildert werden wollte
,↓:↓ aber unwillkürlich dringt die Monotonie leicht in die
Gestaltung, und für mein Empfinden manifestierte sich
Rembrandt nie genialer als wie er die drei riesigen Bäume
allein in die ungeheure (sonst kaum malerisch darstellbare) Ebene stellte. Der Stoff
also, den Sie sich gewählt haben (oder vielmehr, der Sie gewählt hat: es wählt ja
für
uns) will mir nur scheinbar
↓un↓bewegt vorkommen. Es ereignet sich ein fortwährendes Wellenspiel von
Geschehnissen und Veränderungen – ich aber spüre am grossartigsten und tragi
sschesten darin die innere Hoffnungslosigkeit dieses
Menschen. Ich weiss nicht, wieso es kommt, aber von der 50. Seite an wusste ich schon
bei jedem Erlebnis, es würde nicht dauern, nicht Glück produzieren, es würde wieder
enden an ebenderselben
|furchtbaren
Verbannung von aller Freudigkeit, in welche dieser Mensch hineingeboren ist. Sie
konnten nicht wahrer sein, indem Sie aus Millionen eine solche Gestalt herausholten,
und für mein Empfinden stellt sich diese
Chronik endgiltig dar. Sie romantisiert
nicht, sondern sie bleibt grausam nüchtern und erschreckend wahr. Erschreckend – dies
Wort gilt nicht für mich, der das Tragische und am liebsten das geheim Tragische des
Daseins in Büchern als höchste Tugend ehrt, wohl aber vielleicht für ein breiteres
Publikum, das, weil selbst diese Monotonie unbewusst erlebend, im Geschriebenen wie
auf der Leinwand immer eine Spannung sehen will, bewegte Schicksale, und das
unbewusst Depressive dieser Gestalt als gênant empfinden wird – gênant für ihre
Sorglosigkeit, für ihren Amüsierwillen, ihr Darüberhinwegwollen im eigenen Dasein.
Sie haben es gewiss von Anfang gewusst, dass Sie hier einer Publikumsneigung im
innersten entgegenwirken – die Menschen wollen immer nur Reichtum sehen, reiche
Milieus, tropische Charaktere, rare und kuriose Erlebnisse – aber nichts ehrt Sie
mehr, als dass Sie auf der Höhe Ihres Schaffens das Allerschwerste auf sich genommen
haben, das dem Künstler vorbehalten ist: die arme Existenz zu schildern, die Tragödie
der unzähligen Anonymen. Diese Menschen lesen nicht die Bücher in den ersten vier
Wochen, insolange sie modern sind, sie kommen erst langsam an sie heran – dann aber
werden Sie einzelne Dankbarkeiten erhalten, die Ihnen wirklich glückhaft sein müssen.
Als Mann des Metiers muss ich ein wenig neugierig sein auf den Wiederhall im Kreise
der Geistigen, ob
sie↓diese↓ das bewusst Heroische dieser
Chronik wahrnehmen und würdigen können, das für
uns
Oesterreicher noch überdies besonderen
dokumentarischen Wert hat. Das Gefährlich
↓e↓ einer solchen
Chronik im Gegensatz zu
einem wirk
|lichen Roman entgeht mir
natürlich nicht, nämlich dass im Roman alle Gestalten auf Wiederkehr gestellt sind,
also dramenhaft, während hier die meisten nur einmal episodisch auftreten und dadurch
leichter dem Gedächtnisse verschatten – mir fliessen die einzelnen Familien der
Lehrerin in der Erinnerung schon ein wenig zusammen,
↓–↓ aber
dies war nicht zu vermeiden, denn sie bedeuten ja nichts als Meilensteine, um den
Weg
zu messen. Sie wissen so viel von den Geheimnissen der epischen Prosa, dass Sie da
mit Sparsamkeit gearbeitet haben, wo ein anderer in breiten Milieuschilderungen sich
und die Leser erschöpft hätte, und ich glaube, dass die gewisse Silhouettenhaftigkeit
der Nebenfiguren gegenüber der Prägnanz der Hauptgestalten Ihre rechte und richtige
Einsicht war.
Lassen Sie sich nun ruhen auf solcher Leistung, die für uns Jüngere gleichzeitig eine
Lehre bedeutet. Wie wunderbar, dass Sie aus solcher Fülle schöpfen können, und das
selige Spiel des Erfindens
ist ↓sich↓ Ihnen fast noch leichter als in den jugendlichen Jahren gewährt. Könnte dies
Buch meine seit den
Knabenjahren rein bewahrte Verehrung und Liebe noch erhöhen, so hätte es dies
gewisslich in mir getan, aber vielleicht ist schon jene kristallene Festigkeit des
Gefühls vorhanden, die durch ein gelungenes Werk nicht mehr gesteigert und durch ein
misslungenes nicht mehr gemindert werden könnte. Seien Sie dieser meiner lautersten
und in ihrer Unabänderlichkeit verlässlichen Gesinnung aufrichtig gewiss! Und
erlauben Sie mir, das, wenn ich nächstens nach
Wien komme, ich Ihnen noch glückwünschend die Hand reiche.