Elsa Plessner an Arthur Schnitzler, 14. 4. 1896

|Wien , den 14. April 1896 Bäckerstraße No 1.

Verehrter Herr Doctor!

Durch andauernde Unpässlichkeit war ich lange verhindert, Ihnen meinen aufrichtigen Dank für die große, große Liebenswürdigkeit auszusprechen, die Sie mir in so reichem Maße zu Theil werden lassen. Nun haben Sie mich aber ein wenig verwöhnt und ich wage es, Ihrem Wohlwollen eine abermalige Belastungsprobe zuzumuthen. Beiliegend übersende Ihnen das Manuscript einer Novelle, d. h. blos das Gerüst und Gerippe zu einer solchen, indem ich Sie herzlichst bitte, diesen Blättern eine doppelt destillierte Aufmerksamkeit zu widmen. Ich glaube nämlich, damit einen etwas ungebahnten Weg betreten zu haben und möchte von Ihnen erfahren, ob der eventuelle literarische Wert die Kühnheit der Arbeit rechtfertigen kann. –
Kehren Sie sich bitte, nicht an das, stellenweise etwas tote Papierdeutsch, das |sich in diesem Entwurfe, wie ich ja selbst genau weiß, noch vorfindet, sondern sehen Sie die Sache als Ganzes an. Es soll nämlich eine gröstere Novelle werden, zu deren Ausführung ich mir vorliegende Disposition gemacht habe, um den Gang und die Stimmung festzuhalten und theilweise auch den Stil. Die Ausführung ist so gedacht, dass, wenn ich z. B. an einer Stelle von dem »behäbigen Dutzendbengel« spreche »der kleine Backfische ganz gut leiden mag«, ich dies nicht blos erzählen, sondern scenisch ausmalen will.
Der »Ich«ton ist, wie ich glaube, der hier einzig mögliche, um die seelischen Feinheiten herauszubringen. Die Characterisirung der andern, der Männerfigur lässt sich durch die Heldin selbst ganz gut bewerkstelligen, denn sie notirt ja sein Reden und Verhalten und hauptsächlich ist es mir doch darum zu thun, die Wirkung |seiner Person auf sie zu zeigen – und das thut sie ja selbst in diesen Aufzeichnunggen! – Nun, Sie werden ja selbst sehen!
Und somit danke ich Ihnen, meinem verehrten literarischen Beichtvater, für die Geduld, mit der Sie diese Zeilen durchlesen (falls Sie bis hierher kommen) und schließe mit nochmaligen Empfehlung dieser Blätter an Ihre erwiesene Güte dankbar ergebenst
 Elsa Plessner