|Wien , den 14. April 1896 Bäckerstraße No
1.
Verehrter Herr Doctor!
Durch andauernde Unpässlichkeit war ich lange verhindert, Ihnen meinen aufrichtigen
Dank für die große, große Liebenswürdigkeit auszusprechen, die Sie mir in so reichem
Maße zu Theil werden lassen. Nun haben Sie mich aber ein wenig verwöhnt und ich wage
es, Ihrem Wohlwollen eine abermalige Belastungsprobe zuzumuthen. Beiliegend übersende Ihnen das Manuscript einer
Novelle, d. h. blos das Gerüst
und Gerippe zu einer solchen, indem ich Sie herzlichst bitte, diesen Blättern eine
doppelt destillierte Aufmerksamkeit zu widmen. Ich glaube nämlich, damit einen etwas
ungebahnten Weg betreten zu haben und möchte von Ihnen erfahren, ob der eventuelle
literarische Wert die Kühnheit der
Arbeit rechtfertigen kann. –
Kehren Sie sich bitte, nicht an das, stellenweise etwas tote Papierdeutsch, das
|sich in diesem
Entwurfe, wie ich ja selbst genau weiß, noch vorfindet, sondern sehen Sie
die Sache als Ganzes an. Es soll nämlich eine gröstere Novelle werden, zu deren Ausführung ich mir vorliegende Disposition
gemacht habe, um den Gang und die Stimmung festzuhalten und theilweise auch den Stil.
Die Ausführung ist so gedacht, dass, wenn ich z. B. an einer Stelle von dem »behäbigen Dutzendbengel« spreche »der kleine
Backfische ganz gut leiden mag«, ich dies nicht blos erzählen, sondern scenisch
ausmalen will.
Der »Ich«ton ist, wie ich glaube, der hier einzig mögliche, um die seelischen
Feinheiten herauszubringen. Die Characterisirung der andern, der Männerfigur lässt
sich durch die Heldin selbst ganz gut bewerkstelligen, denn sie notirt ja sein Reden
und Verhalten und hauptsächlich ist es mir doch darum zu thun, die Wirkung |seiner Person auf sie zu zeigen – und das thut sie ja selbst in diesen
Aufzeichnunggen! – Nun, Sie werden ja selbst sehen!
Und somit danke ich Ihnen, meinem verehrten literarischen Beichtvater, für die
Geduld, mit der Sie diese Zeilen durchlesen (falls Sie bis hierher kommen) und
schließe mit nochmaligen Empfehlung dieser
Blätter an Ihre erwiesene Güte dankbar ergebenst
Elsa Plessner