Elsa Plessner an Arthur Schnitzler, 21. 9. 1896

|I. Bäckerstrasse No 1, den 21. 9. 96.

Verehrter Herr Doctor!

Mit dem Tage, der eben schließt, sind Sie zum Erzengel avancirt. –
Herzlichsten, aufrichtigsten Dank für die Geduld und Aufmerksamkeit die Sie meinen Arbeiten zugewendet haben. Diese Liebenswürdigkeit, die Sie mir gegenüber so oft schon bethätigten ist so beispiellos, daß mir jeder Ausdruck fehlt, sie näher zu characterisieren! Sie werden zwar sagen: »Schlamperei! Man muß alle Ausdrücke finden!« Ich bin aber wieder so empörend faul, nicht lange darüber nachzudenken! »Wie gesagt« – Sie sind ein Engel in xter Potenz! – Geradezu fabelhaft finde ich es, daß sie die |schöne Zeit, die Sie zu so vielem Anderen hätten verwenden können, zur Anfertigung der graziösen Excerpte aus meinen Meisterwerken geopfert haben! Wie werde ich das vor der deutschen Literatur verantworten können? – Übrigens, verehrter Meister Anatol – Sie haben mir zu den Kopf gewaschen, daß mir alle Haarwurzeln weh thuen und, – – mit Recht!!! – Alle die Abscheulichkeiten, die ich verbrochen, haben Sie mir in einem so lieblichen Neben- und Nacheinander vor mein jetzt gänzlich zerschmettertes literarisches Gewissen geführt – – – mea culpa!– Eines aber freut mich riesig – dass No 1. (jetzt »Warten« früher »Blätter«) Ihnen nun doch ein wenig gefällt! Denn das ist die einzige Arbeit, an der mir etwas liegt und auch – meine letzte!! Überhaupt finde |ich zu meinem großem Vergnügen, daß Sie alle die Arbeiten für die relativ besten erklären, die richtig jüngeres Datum tragen als die andern. Der Onkel, das Monstrum von Geschmacklosigkeit, ist aus dem Jahre 93 – sowie auch »Sie gähnt« ungefähr so alt ist. Was Sie von »Eile« schreiben, kann ich eigentlich nicht begreifen! Die zehn Skizzen und das Stück, sowie die »freien Rhythmen«, die Sie seinerzeit so wüthend gemacht haben, sind meine ganze gesammte Production von – 9 Jahren!! – Das ist doch nicht viel? – Mir sind die alten Sachen zu in der Seele zuwider, daß ich am liebsten gar nichts davon mehr wissen wollte – soll ich da wirklich noch lange in dem alten Kehricht herumstöbern? – Wenn ich nicht müsste – so ließe ich sie wirklich nicht aus Tageslicht – doch so? – Ich werde die Blößen der armen Kinder nothdürftig bedecken, so von oben auf nach Ihren Angaben und dann – fort mit Schaden – ! Für die Zukunft verspreche und gelobe ich, nach Ihren Directiven anständig und ehrlich zu arbeiten, nichts mehr zu schleudern, und im übrigen auf mein Talent, das Sie ja »mit einem heitern, einem nassen Auge« anerkennen, zu bauen. – – – Darf ich mir die Anfrage gestatten, was ich nun betreffs Director Brahm thun soll? – ihm ein Abschrift meines Stückes senden mit gleichzeitiger Bezugnahme auf Sie, verehrter Meister? – – – Oder erst nach eventueller Antwort diesbezüglich von dort an Sie? – –
Mit Dank und Verehrung grüßt  Elsa Plessner