Elsa Plessner an Arthur Schnitzler, 23. 3. 1897

Hochverehrter Herr Doctor!

Vorgestern fast als erstes »Willkommen« Ihre lieben, lieben Zeilen, die mich gefreut haben – na – wie – ! – Das werden Sie sich ja so ungefähr ausmalen können. Wieder ein paar lobende Worte von Ihnen zu erhalten, das wirkte wie frisches Wasser auf mich. Also jetzt beginne ich wieder zu schwimmen. Vielen, vielen herzlichsten Dank! Die Meraner böse Zeit liegt hinter mir, ob eine bessere, »heitere« folgt, das ist unbestimmt – aber jedenfalls habe ich wieder Arbeitsfreude. Und das ist ja |das beste Theil, nicht wahr? – Also, wenn Sie nicht seither sich anders besonnen haben, würde ich Sie bitten, mir die Aufgaben zu stellen, so, wie Sie es mir im Winter vorgeschlagen haben. Ich hätte ja damals gleich von Ihrer unerschöpflichen Liebenswürdigkeit Gebrauch gemacht aber ich war so auf dem Hund, körperlich und geistig noch mehr – dass es ein ganz verfehltes und zweckloses Verfahren gewesen wäre. Mit dem damaligen Zustand entschuldigen sich auch die »Orchideen» ganz von selbst. – – Jetzt wo ich glaube wieder ein bisschen beisammen zu sein, und alle Gefahr, das Ende der Baskirtseff zu kopieren – geschwunden ist, wende ich mich also an Sie und Ihre mir so oft bewiesene Güte – nehmen Sie mich in die Schule – stellen Sie mir Aufgaben!! – Außerordentlich hat es mich gefreut, dass |die letzte Arbeit im Wer Journal Ihnen nicht missfallen hat. Sehen Sie, verehrter Herr Doctor, die habe ich wirklich in 1½ Stunden hingeschmiert ohne viel an anderes zu denken, als an das Wer Journal. Von »Talentprobe« und so weiter gar keinen Schimmer im Kopf. Und das ist nicht ganz missglückt!!? Das freut mich. Muss doch noch ein bisschen künstlerische Grütze haben! D. h. Ideen drängen sich mir wirklich eine ganze Menge auf – es fällt mir leicht das künstlerische Bild ins Auge – aber die Technik, es herauszuarbeiten!! Da steckts! – Darum möchte ich von Ihnen lernen. – Mit dem »Käfig« habe ich mir viel und ehrliche Mühe gegeben, auch stylistisch und Sie habens gemerkt. Nicht wahr? – Dieselbe Grundidee wie »Orchideen« – d. h. kaum ein bisschen verändert, denn die ließ mich nicht los; aber jetzt habe ich sie geprägt, wie ich glaube, und denke, mit ihr fertig zu sein. – Eine klare, schlichte Schreibweise, ohne Mätzchen und stylistische Eiertänze, so, wie Sie deren glücklicher Besitzer sind, möchte ich mir gerne aneignen. Die jüngstmodernen affectirten Posen sind mir immer zuwider gewesen. Daher die von Ihnen oft gerügten Trivialitäten und saloppen Plattheiten. Leider habe ich in jüngster Zeit mit den Dialogen Unglück! Das geht mir stark gegen den Strich. Dialoge waren sonst meine Stärke – siehe »Heimweh«. – Also – hier die Inventur. – – – – – –
Mein letzter – d.h. der fragliche Brief ärgert mich, weil er mir noch immer als Zudringlichkeit – d. h. als Geschmacklosigkeit erscheint. Sie sind nur aus Höflichkeit darüber weggegangen. Diese private Ohrenbeichte und intimste Kundgebung an Sie zu richten – – na, das ist mindestens überspannt. – – Und lächerlich noch dazu. Bitte, ich bin so eitel – denken Sie besser von mir, als Sie nach dem Brief Ursache hätten es zu thun und nehmen Sie meine aufrichtige Verehrung sowie herzliche Grüsse entgegen.
 Elsa Plessner