Arthur Schnitzler an Stefan Zweig, 18. 8. 1917

|Dr. Arthur Schnitzler 18. 8. 17
lieber Herr Doctor, Ihr Dank kommt so beschämend rasch – noch bevor ich selbst auch nur ein einziges Exemplar meines neues Buches in Händen habe, und ich freue mich wie immer, Ihrer Antheilnahme und der schönen Art, in der Sie sie kundzugeben wissen. Einwendungen, besonders wenn sie von jemandem kommen, an deren Schätzung man nicht zweifeln kann, sind gewissermaßen immer berechtigt; und wird auch mein künstlerisches Gefühl gerade durch den Schluss durchaus befriedigt (wenn man sich vielleicht auch einen Dr. Graesler, II. Theil denken könnte, der ihn als alternden Ehemann und Arzt in Lanzarote zeichnete) |so halte ich es doch für sehr denkbar, daß irgend ein Mangel, der sich an andren Stelle finden mag, wie das oft der Fall ist, erst am Ende herauskommt. Da jedes künstlerische Product eine Einheit vorstellt, handelt es sich hier nicht um einen Irrtum des Beurtheilers, sondern um etwas ähnliches wie bei der sog. »falschen Localisation« die dem Nervenarzt bekannt ist: Schmerzen werden an einer von der kranken weit entfernten Stelle empfunden. Hier rühre ich vielleicht an ein aesthetisch kritisches Problem, das man näher betrachten könnte. Wie Sie unter den »tausend Tagen« leiden, vermag ich Ihnen wohl nachzufühlen! möge Ihr Buch, dem ich mich entgegenfreue, Sie wenn nicht befreit, doch wenigstens entschädigt haben.
Seien Sie vielmals, auch von meiner Frau, u herzlichst gegrüßt, Ihr  A. S.
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