27. XI. 94
Mein lieber Schnitzler!
Diese Zeilen schreibe ich Ihnen auf der Galerie des
Hauses in Augenblicken die ich meiner Strafknechtschaft abzwacke. Sie dürfen daher keinen
Brief erwarten, der so schön wäre wie Ihre
Novelle.
Ich beginne mit den Einwendungen Ich hatte – obwol ich das
Buch mit den Augen einer besonderen Neigung
und in einem Athem bis zu Ende las – einigemal das Gefühl der Länge. Ziffermässig
ausgedrückt sind vielleicht 25 Seiten zuviel, wovon sich 10 über das ganze
Buch vertheilen und 15 auf die
Einleitung. Diese halte ich für verfehlt. Man muss
|Vertrauen zum Verfasser haben, um
darüber hinauszukommen. Dieses Vertrauen habe ich, haben die, die Sie kennen schon
heute. Die Vielen werden es erst haben, wenn sich Ihre glänzende Laufbahn in der
Literatur erfüllt haben wird.
Nicht als ob ich gegen die grisaille dieses Anfangs empfindungslos wäre. Das ist fein wie das Ganze,
aber es gibt Grenzen in der Feinheit. Darüber werden wir später noch reden.
Ihre ganze
Novelle ist eine
feine Arbeit in Grau. Aber eben desshalb hätte ich für den Anfang lebhaftere Farben
gewünscht. Bedenken Sie, was in Ihre
Arbeit hineingekommen wäre, wenn wir diesen Felix in der
Gestalt kennen
|gelernt hätten, in der
er Marie verführte. So ist es nur der letzte Akt einer Tragodie. Ich kann mir wohl
denken, dass der Arzt in Ihnen gegen
den ein
brüskeres Auftreten der Krankheit protestirt, der Arzt der sich im Uebrigen – was
ich
zuerst mit Erstaunen dann verstehend bemerkte – so discret zuruckhält.
Also das Liebesbacchanal war zuvörderst zu zeigen – so kurz Sie wollen, da es sich
nicht darum handelt – denn Menschen kann man nur aus ihrer Geschichte verstehen,
bedauern und bewundern.
Die übers übrige
Buch
vertheilten überflüssigen Seiten sind leere Stellen, Wiederholungen die nicht als
solche beabsichtigt sind und eine ganz kleine Manier in der
|Naturschilderung, die mir später darum
unangehehm auffiel, weil sie mich anfangs entzückt hatte.
Jetzt bin ich mit dem Tadel fertig. Im Uebrigen ist es ein kleines Meisterwerk mit
vielen Farben in Grau und der erreichten Vollendung im Verschweigen.
Loben muss ich die Sicherheit der Psychologie. Es ist eine Marivaudage im Traurigen.
Viele kleine Züge von grosser Wahrheit und die Absicht die immer gegenwärtig, ist
nirgends verletzend.
Die Sprache ist ausgezeichnet. Sie haben ganz Recht, den »
Wiener Stil«, der jetzt gemacht wird, nicht
mitzumachen. Ich muss nach ersten Mustern greifen, um für Ihren Vortrag Vergleiche
zu
finden. Die
Salzburger Stellen erinnern
|mich an
Gottfried Keller. Allerdings sind sie schwächer, zarter.
Ich kann Ihnen
sagen, dass ich mancke Stellen zweimal las wegen des Gesanges und Duftes der darin
ist.
Sie sind also von den
Anatol Sachen weiter gekommen
u. zw. in der Tiefe.
Nachdem ich Ihre
Novelle gelesen
habe ich mich noch einmal über Ihren Brief über mein
Stück gefreut.
Es ist natürlich, dass ich alle Ihre Einwendungen beim
Umarbeiten beherzigen werde. Es wäre mir noch lieber gewesen, wenn Sie jede einzelne
Stelle, die Ihnen Bedenken erregte, angemerkt hätten. |Doch werde ich mich wol auch so
zurechtfinden. Insbesondere den Fehler der Selbsterläuterung werde ich zu vermeiden
trachten. Vergessen Sie aber nicht, dass man – banausischer Gedanke – auf der Bühne
gröber sein muss, weil man keine oder wenig feine Hörer hat. Und es muss auf die
Bühne, es muss, es muss. Darum hab' ichs geschrieben. Es muss ins Volk!
Darum begnügt
es sich auch kühn zu sein u. will nicht trotzig sein. Sonst hört man mich nicht bis
zu Ende an. Ich rede zu einem Volk von Antisemiten!
Darin werde ich also nichts |ändern. Der von Ihnen bemängelte
Charakter der Frau ist eine Schwierigkeit. Ich kann das Schlechte nur auf eine Art
»liebenswürdig« machen: indem ich einen Schleier von Dummheit darüber breite. Dann
wird's aber lustspielmässig. Nun ist aber diese Frau als ein Factor der ihn ins
Ghetto zurückdrängt nöthig.
Was meinen Sie mit de
m↓r↓ schlechten
Auft Einführung Bichlers? Es
wäre mir angenehm, darauf sofort Ihre Antwort zu erhalten, weil ich in den nächsten
Tagen wieder hoffen kann für mich zu arbeiten. Dann soll die
Abschrift rasch gemacht werden u. an Sie gehen, wie wir übereinkamen. Sie
sagten mir noch nicht ob Ihnen mein Begleitbriefplan zusagt. Auch muss
|ich Namen u. Adresse des Notars oder
Advocaten
Schick wissen um ihn im Begleitbrief
anzugeben. Sie müssen auch
Schick fragen, ob er geneigt
ist.
Ihre Antwort bitte ich als einfachen Brief
rue de
Monceau zu adressiren.
Zur Vorsicht sprechen Sie von
Ihrem dem
Stück, als wärs
von Ihnen. Ich gebe Ihnen übrigens keine Detailcautelen für unsere Correspondenz an.
Ich verlasse mich ganz auf Sie
und bin mit herzlichen Grüssen
Ihr Freund
Herzl