Mit Ihrem
Stück haben Sie dem
Theater ein neues Milieu entdeckt und haben eine Reihe von Ge
stalten ge
schaffen, die
Athem des Lebens haben. Und
neue Ge
stalten – manche,
an die man
sich bis jetzt nicht herangetraut hat. Die be
sten Figuren
sind die, die
aus
sich herausreden, ganz naiv; – da haben Sie mit ein paar Strichen glänzend
gezeichnet;
Charlotte
z. B. –
Wassermann i
st ausgezeichnet; der
i
st wohl berufen, Ihnen häufig nachge
|dichtet zu werden.
Dieses aber verfällt gegen Schlu
ss in den Fehler Ihrer Hauptper
son; – er erläutert
sich. Sie unter
schätzen Ihre Charakteri
sirungskun
st – man kennt Herrn
Wassermann längst, bevor er anfängt von
sich zu erzählen. Ueber das
Stück als ganzes i
st etwas ähnliches zu
sagen. Es hat
soviel echtes Leben und i
st in seiner Entwicklung
so natürlich, da
ss
Sie auf
kleine Absichtlichkeiten der Ausführung wohl
verzichten dürften, welche die große Ab
sicht des Stoffes
schädigen ↓verwirren↓.
|Am mei
sten hab ich in die
sem Sinne gegen den
Schluß
satz des
Stücks
einzuwenden, den eigentlichen Schlu
ss
satz, den der
sterbende
Jacob Samuel zu
sprechen hat. La
ssen Sie ihn lieber wortlos
sterben – die
ser Tod
sagt mehr
be
sseres, ich glaube
selb
st, was ganz andres als der Sterbende
selb
st. Der
Sterbende
sagt: »
Juden, Brüder, man
wird euch erst wieder leben lassen, wenn ihr zu sterben wisst.« – Sein Tod
aber
spricht: Die
ser arme Teufel und edle Men
sch mu
ss
sich von einem erbärmlichen
|Haderlumpen einfach deshalb niederschießen lassen – weil er
als Jud geboren i
st! – – Es gab eine Zeit, wo die Juden zu tau
senden auf den
Scheiterhaufen verbrannt wurden. Sie haben zu
sterben gewußt. Und man hat
sie nicht
leben la
ssen – deswegen. – So fährt Ihr
Drama, nachdem es
sicher u.
schön
seinen Weg hingebrau
st
ist, – auf einem fal
schen Gelei
se ein. –
– Eine Figur wäre event. noch in das
Stück hineinzu
stellen, die als Gegen
spieler wirk
sam wäre:
ein jüdi
scher Couleur
|student, der nach 30. Men
suren
cha
ssirt wird, weil er ein Jude i
st. – Eventuell noch ein anderer Student, der
dem
kathol. Gesellenverein angehört und sich au
f↓s↓ »Katholizismus« nicht
schlägt – und daher
sehr verehrt wird! – Und noch eine
Figur
scheint mir in dem reichen Bild zu fehlen, das Sie von einer gewi
ssen jüd.
Ge
sellschaft
×××× entwerfen. – D. i. eine
sympathi
sche Frau (oder
Mädel) Gibt es nemlich auch. Oder es wäre wenig
stens
|zu
zeigen, wie ein ur
sprünglich gut veranlagtes Mädel durch
Hellmannische Erziehung verkommt.
Ließe
sich vielleicht gar nicht
so
schwer an
Hermine zeigen, die
scharf aber doch ein bischen outrirt
gezeichnet i
st. Man begreift gar nicht, da
ss ein
so hoch
stehender Men
sch wie
Jacob ihn heiratet. Das wäre
dann gleich motivirt, wenn die guten Züge noch an ihr zu entdecken wären.
– Ganz mei
sterhaft
sind die
|alten
Samuel. Nun redet die Frau ein bischen zu gewollt, im
1. Akt be
sonders.
Wurzlechner ver
stehe ich nicht ganz. Ich glaub, in Ihrem Streben nach Objectivität haben
Sie ihn geradezu
sympathi
sch zu machen ver
sucht. Aber, glauben Sie mir, er i
st ein
ganz ordinairer Kerl. Geben Sie ihm wenig
stens
stärkere Motive, wenn er von
Jacob Ab
schied ni
mmt. Oder
la
ssen Sie die
se Infamie
schon im er
sten Akt vermuthen. Oder:
Jacob|selb
st merkt, da
ss dem
Wurzlechner sein Verkehr mit den Juden in der Carrière
↓von ihm,↓ schadet u. er
legt es ihm nahe, zu
scheiden. Oder – was mir am lieb
sten wäre.
Jacob schmeißt den Kerl wie er sich windet und dreht, einfach hinaus. Als Secundant
empfehle ich da
nn für das Duell mit
Schramm den neu zu
schaffenden Studenten mit den 30 Men
suren. (Er könnte der Neffe
die
ses kö
stlichen
Wassermann sein.) –
| – Als zufällige Beispiele für die früher erwähnten
kleinen Absichtlichkeiten der Ausführung: –
Seite 1.
Köchin:
Halt Juden. Die Juden haben
alles Geld. »Sind halt Juden« –
sagt das
selbe; wirkt
stärker. (das Entrée
Bichlers behagt mir nicht
sehr)
Seite 60.
Jacob:
Jetzt kannst du das auch
auffassen, dss die Juden Hunde sind – Hier i
st die Ab
sicht deutlich – bis zur Ver
sti
mmung. – »
Auch der Jude mit dem wunden Ehrgefühl«
|will mir nicht gefallen – geben Sie Ihrem
Jacob etwas mehr innere Freiheit. Der
Grundgedanke leidet nicht darunter, und die Per
son wird uns
sympathi
scher. Glauben
Sie nicht? Und hier sah ich es wieder: Die Figur des
Kraftjuden fehlt mir geradezu in Ihrem
Stück. Es i
st ja nicht wahr, da
ss in dem
Ghetto, das Sie meinen, alle Juden gedrückt oder i
nnerlich
schäbig herumlaufen. Es
gibt|andre – und gerade
die
werden von den Anti
semiten am tief
sten geha
sst. Etwas in der Art müßte auch in dem
Stück ge
sagt werden. Ihr
Stück ist kühn, – ich
möchte es auch trotzig haben. Und vor allem la
ssen die Ihren Helden nicht
so
ergeben
sterben. Ich hab es
schon anfangs ge
sagt – jetzt fällt es mir wieder ein
– Sie
sehn, wie ern
st es mir damit ist! –
| Bühnenwirk
samkeit –
soweit das vorher zu
sagen i
st – mu
ss
Ihr
Stück haben – ob ein
Theater d
i ↓e↓n Muth haben wird, es aufzuführen –? – Doch davon kann
später
ge
sprochen werden. Ich freue mich das
Stück (welches Sie doch aufrichtig ein »Trauer
spiel«
ne
nnen
sollten),
sehr bald wieder zu le
sen, und wenn Sie finden
sollten, da
ss von den
paar Bemerkungen, die ich mir erlaubt habe, einige der Ueberlegung werth
sind,
so
werde ich das viel
|leicht in der näch
sten Abschrift zu
erkennen im Stande
sein. Mein herzliches Vergnügen, nach langen Jahren wieder einmal
ein »
Originalmanuscript« von Ihnen durchle
sen zu dürfen,
kann ich Ihnen nicht ver
schweigen.
Seien Sie vielmals gegrüßt und bedankt.
Stets der Ihre
ArthurSchnitzler