Theodor Herzl an Arthur Schnitzler, 9. 1. 1895

|9. I. 95

Mein lieber Freund!

Herzlichen Dank für alles!
Stärker noch als in Ihren früheren Briefen habe ich bei das Gefühl der Wärme.
Glauben Sie, dass ich diese Sympathie ganz erwiedere! Ich freue mich, dass ich Sie zu meinem Vertrauten gemacht habe. Sie sind der Einzige. Niemand, Niemand, Niemand hat auch nur eine Ahnung davon. Zweimal war die Versuchung stark, mich hier mitzutheilen. Zuerst beim Bildhauer Beer, der meine Büste machte. Bei dem ist nämlich das Stück entstanden. Einmal während einer Sitzung ereiferte ich mich, als ich ihm die Judenfrage in Oestreich auseinander setzte. Das schwang in mir stark fort als ich wegging. Auf dem Heimweg fiel mir das ganze Stück ein. Am nächsten Tag sagte ich ihm: Beer, wenn ich jetzt nicht ein Taglöhner wäre, sondern mich vierzehn Tage nach Ravello oberhalb von Amalfi setzen könnte, schriebe ich ein |Stück.
Er machte ein Gesicht, das mir ungläubig schien. Am dritten Tag blieb ich von der Sitzung aus u. blieb aus bis es fertig war. Als ich wiederkam, reizte es mich ungemein, es ihm zu sagen und es ihm vorzulesen. Ich widerstand aber und erklärte meine abwesenheit mit Zeitungssachen.
Die zweite Versuchung war Nordau, der mir ein sehr guter Freund ist und mir in seiner rüden Wahrheitsliebe gewiss alle Fehler – die er hätte wahrnehmen können – gesagt hätte. Als er mir nun kürzlich sein neuestes Stück vorlas, riss es mich wieder. Aber der Vorsatz war gefasst. Ein wirkliches Geheimniss darf höchstens auf vier Augen stehen. Dabei bleibt es.
Das Manuscript, das bei Ihnen ist, biete ich Ihnen als Geschenk an. Hat das Stück den Erfolg, den ich nicht für unmöglich halte, wird’s Ihnen in 10–20 Jahren eine hübsche Erinnerung sein. Und verkracht es, gleich meinen früheren Versuchen, so möge es Sie späterhin an den Beginn unserer Freundschaft erinnern, die hoffentlich dauern wird.
|In der Beilage finden Sie 13 fl. Die Sechserln kann ich Ihnen von hier nicht schicken. Geben Sie also die paar Knöpfe dem armen Teufel, dessen überflüssige Quittung Sie mir zum Spass einschickten.
Das Lob meiner Feuilletons schmeckt mir von Ihnen, mein sehr Lieber, gut. Aber ich kann gerade das letzte, das Sie erwähnen, nicht gut finden.
Ich will jetzt noch fünf solche Palais Bourbon-Sachen schreiben. Das letzte wird den Sinn des Ganzen zusammenfassen und »die Schule des Journalisten« heissen. So müssen wir ja unsere Poesie – von ποιειν, hineinlegen – aus unserem Leben saugen. Denn einen andern Zweck hat ja unser Leben nicht. Ich finde diesen übrigens schön.
Dass Ihnen mein Stück auch beim zweiten Lesen noch gefiel, hat mir wie gesagt ganz warm gemacht.
Werden ja sehen, was die Directoren sagen; Sie, mein Freund, sind doch jedenfalls günstig voreingenommen. Vergessen Sie nicht, mir das erste Ergebnis zu telegraphiren u. gleich ausführlich unter der verabredeten Adresse zu schreiben.
Mit herzlichem Grus. Ihr getreuer
 Th. H.
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