|Wien, 10. Nov. 94.

Lieber und verehrter Freund!

ich beglückwünsche Sie vor allem zur Vollendung Ihrer Stückes, das schon während seines Entstehens die Mission erfüllt haben, welche bei selbstkritischen Geistern wie bei Ihnen sschwer zu erhalten ist. Ihnen |eine hohe und schöne Stimmung zu geben. Ich habe also wohl ein Recht mich auf die Lecture derselben aufs innigste zu freuen. Es isselbstverständlich, dass ich Ihnen in jeder Weise und mit dem größten Vergnügen zur Verfügung stehe. Ich habe auch bereits an einen notar. Vertreter gedacht, Schick. Kennen Sie ihn? Er hat vor Jahren intim mit Ludaßy verkehrt; ich |komme jetzt häufig mit ihm zusammen und seine Verläßlichkeit ist außer Zweifel. Im übrigen braucht ja auch ihm gegenüber Ihr Name nicht genannt zu werden.
Einiges wäre immerhin zu bedenken. Nehmen wir den Fall an, die Direction entscheidet sich wirklich binnen vier Wochen – wird sie dann, im Falle der Ablehnung – das Stück auch an das andere Theater|weiterbeförden? – dass es ihr ein leichtes ist, wissen wir ja – es ist aber nicht zu vergessen, dass es nichts nachläßigeres, rücksichtsloseres, schamloseres gibt als Theaterdirectionen. Diese Nachläßigkeit, Rücksichtslosigkeit, Schamlosigkeit steigert sich ins ungewissere, sobald sie es mit einem Unbekannten zu thun haben. Ich glaube also, dass man sich an eine Beförderung des Stücks von Theater zu Theater kaum recht verlassen kann. Außerdem |kommt in Betracht, dass die Vergangenheit eines Stückes auch eine Art Nordauscher Kugel ist – d. h. das neue Theater z. B. kann erstens »gekränkt« sein, dass es später als die andern berücksichtigt wird u kann zugleich ein Vorurtheil gegen das ein oder zwei oder dreimal abgelehnte Stück haben. Ob es nicht, wenn auch etwas mühseliger, doch praktischer ist, das Stück immer wieder an den Notar zurückbefördern lassen? |Noch eins. Ich kann mir denken, dass die betr. Direction sich wirklich binnen vier Wochen entscheidet – obwohl man da nur an die Anständigkeit der Direction, also eine sehr imaginäre Größe appelliren kann – aber dass irgend eine Direction die Verpflichtg übernimmt, ein eingereichtes Stück innerhalb der nächsten 2 Monate aufzuführen, kann ich mir kaum vorstellen. Man gibt ihr sogar durch diese Clausel eine gar zu |billige Ausrede in die Hand.
– Ob die Pseudonym-Idee an sich Erfolg verspricht, isschwer zu entscheiden. Sie müssen eben annehmen, dass das Werk selbst auf die Directoren so mächtig wirkt, dass u. s. w. u. s. w. Es steht in diesem Briefe schon so viel über die Directoren, dass es kaum nothwendig ist, ihnen das letzte und traurigste Epitheton zu ersparen, dassie von der Güte eines echten Stücks doch wohl nicht viel verstehen. |Blumenthal dürfte einen gewissen Blick fürs theatralische haben. Brahm ist ein Herr mit Principien und kalten Fanatismen; für einen tiefen Versteher halt ich ihn nicht. Lautenburg ist einfach ein Dummkopf. Die »Freie Bühne« glaub ich, existirt gar nicht mehr. Wenn es ein gerades und natürliches Verhältnis zwischen dem Werth eines Stückes und der Annahme desselben gäbe, bräuchte das alles freilich nicht besprochen zu werden. Und alles, was ich da |gesagt habe, wissen Sie, lieber Freund, so gut wie ich – aber man kommt so ins plaudern. Daß Herr Albert Schnabel genau so auf mich zählen kann wie Dr. Theod. Herzl, brauche ich wohl nicht noch einmal zu versichern. Senden Sie mir Ihr Stück nur sobald wie möglich. Dass Sie mir die Glosse nicht geschickt haben, ist nicht schön. Aber Sie haben vergessen. Meine Novelle erscheint in etwa 14 Tagen. Ich werde nicht vergessen. –
| Ein Stück hab ich auch geschrieben. Vom 13. September bis 4. October. Und es hat nur 3 Akte. Hoffentlich kann ich Ihnen bald günstiges davon sagen. Seien Sie vielmals herzlichst gegrüßt und empfehlen Sie mich gütigst Ihrer Gattin.
Ihr treu ergebener
ArthurSchnitzler
Wien, 10. Nov. 94.
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