|Wien, 12. November 892.

Verehrtester Freund,

zuerst will ich Ihnen für Ihre liebenswürdigen Worte herzlich danken, u. dann gleich sagen, wer Loris ist. Räthselhaft, dass Sie es von Goldmann nicht wissen. Ich selber bin es leider nicht. Erstens wäre ich dann um 12 Jahre jünger und zweitens hätte ich »Gestern« geschrieben, den schönsten Einakter in Versen, der seit sehr, sehr langer Zeit in deutscher Sprache erschienen ist. Von diesem merk|würdigen Achtzehnjährigen wird noch sehr viel gesprochen werden. Wenn Sie schon die Einleitungsverse zum Anatol »zum küssen« finden, so will ich Sie vor den unzüchtigen Gedanken warnen, die in Ihnen beim Genusseiner andern Sachen aufsteigen könnten. In Wirklichkeit heißt der Herr Hugo von Hofmannsthal, hat im Juli maturiert und studiert Jus an der Wr. Universität. Sie wissen ja, verehrtester, wie wenig |wörtlich das zu nehmen ist. Wenn es gestattet ist, seiner Biographie vorzugreifen, so will ich Ihnen auch mittheilen, dass ich heute Abend nach der Première von Musotte mit ihm soupiren und ihm von Ihrem freundlichen Interesse erzählen will. Im übrigen, fragen Sie doch Goldmann nach ihm; – er hat ihn ja entdeckt! –
– Von Wiener Kunssoll ich Ihnen was berichten? – Nun, die literarische Bewegung äußert sich darin, daß im Wiedener |Theater oder Carltheater Couplets gegen den Naturalismus gesungen werden (»brutal–!« »Skandal!«), dass es keine Verleger, keine neuen Stücke, dagegen sehr viele Kaffeehäuser gibt, in denen alle Literaten, denen Vormittags nichts eingefallen ist, Nachmittag ihre Gedanken austauschen. Sitzen zwei zusammen, so nennt man sie eine Clique – und sitzen gar drei zusammen, – ssind sie es |wirklich. Man glaubt weder an sich, noch an die andern – und hat großentheils Recht. – Ihr Feuilleton von dazumal fällt mir ein: Kaffeehaus der neuen Richtung hieß es, nicht? – wenn Sie mir gelegentlich dasselbe schicken wollten (Sie haben es doch wohl) freute es mich sehr. Und noch nach einem andern Werk gelüstet es mich wieder; das ist der Tabarin. Nun aber will ich noch mit einer ganz besonderen Bitte heraus (die |einleitenden Phrasen schenken Sie mir ja) ich möchte sehr gern diejenigen Ihrer Stücke lesen, auf die Sie selbst was halten u. die nicht aufgeführt worden sind. – Sie würden meinem literarischen u persönlichen Interesse in gleicher Weise durch Berücksichtigg dieses Ersuchens entgegenkommen. 
– Ihre Schlußpointe zu den Weihnachtseinkäufen gefällt mir vorzüglich; nur glaub’ ich wär sie aus der einen Scene schwierig herauszuentwickeln. Es wäre überhaupt |was andres; in Ihrer Pointe liegt ganz einfach ein sehr reizendes Lust- oder vielleicht gar Schauspiel versteckt, welches zu schreiben Sie höflichst gebeten werden. – Neugierig bin ich, ob Sie eins von den Dingen bühnenwirksam finden werden. –
14. 11.
Ich wurde neulich unterbrochen, u. komme erst heute zum Abschluss meines Briefes
Lassen Sie mich Ihnen also nur noch einmal sagen, wie sehr mich Ihre Freundlichkeit und Antheil|nahme ehrt und wie es mich freuen würde, bald wieder was von Ihnen zu hören. Sie haben mir nun zwei Briefe über mich geschrieben; ich darf nun wohl einen über Sie erwarten?
Mit herzlichen Grüßen Ihr sehr ergebner Arthur Schnitzler
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