|19. 11. 1927.

Liebe und verehrte Freundin.

Ich beeile mich Ihren eben angelangten Brief zu beantworten. Schon vor zirka zehn Tagen hat sich die Sekretärin des Herrn Blum telefonisch an mich gewandt. Ich habe die Sache mit mässigem Vertrauen behandelt und nach meinen bisherigen Erfahrungen liess ich Herrn Blum mitteilen, dass ich vor allem einmal einen direkten Brief von Herrn Gemier erwarte und nur auf ein direktes Anerbieten von ihm mich ausführlich zu äussern gedächte. Was von mir übersetzt ist weiss ja Herr Gemier längst, ich glaube Sie selbst, liebe Freundin, haben ihm seinerzeit die Liste dieser Stücke übergeben. Nur weniges kommt ja für eine Aufführung in Paris in Betracht. »Das weite Land« scheint Herrn Gemier nun doch nicht zu passen, bleibt übrig der »Einsame Weg« übersetzt von Emma Cabire, ein Stück, das sich gewiss nicht für Paris eignet, »Zwischenspiel«, übersetzt von Remon, endlich einige Einakter, »Kakadu«, »Gefährtin«, »Letzte Masken«, um nur die übersetzten zu nennen, ausserdem zogen wir in Betracht »Liebelei«, das ich im vorigenJahr in einer alten Uebersetzung von Thorel mit kleinen Verbesserungen, die Frau Pollaczek besorgte, nach Paris gesandt habe entweder an Sie oder an Gemier, oder an Lenormand, ich weiss mich nicht mehr genau zu erinnern. Ich will meine Korrespondenz daraufhin noch durchsehen. Für Ihre Bemühungen danke ich Ihnen sehr. Das Interesse von Gemier ist mir durchaus zweifelhaft und mir läge natürlich nur daran, dass irgendwelche meiner Stücke sehr gut und mit voller Anteilnahme des betreffenden Direktors oder Regisseurs, in glänzender Uebersetzung herausgebracht werde, nicht etwa darauf, dass Gemier glaubt irgend einer Verpflichtung nachkommen zu müssen. Beim Theater gibt es nur Kontrakte, aber keine Verpflichtungen. Ich nehme ja an, dasssich die Sekretärin des Herrn Blum noch einmal an mich wenden wird.
|Wann kommen Sie nach Wien zurück? Ich fahre Ende d. M. wahrscheinlich auf zehn Tage nach Berlin, bin jedesfalls Mitte Dezember wieder hier, umso sicherer, alst ich für diese Zeit meine Tochter mit dem Faschisten erwarte, wie Lili ihren Gatten in ihren Briefen immer noch nennt. Ein nicht allzu fernes gutes Wiedersehen erhoffend, bin ich mit den herzlichsten Grüssen
Ihr getreuer
Frau Hofrätin Bertha Zuckerkandl,
Paris.
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar