11↓3↓. 1. 10↓1↓.
Lieber Freund,
Die Übersendung der Kopien meiner
Briefe habe ich mit einiger Sorge erwartet. Denn in jener Zeit, in der diese
Angelegenheit spielt, war mir die Freundschaft mit Dir sehr viel, bildete sie eines der großen Besitztümer meines Lebens. Und ich
fragte mich, ehe ich die Kopien erhielt,↓:↓ sollte ich nicht vielleicht, in der Sorge, dieses Freundschafts-Besitztum
vor jeder Gehahr zu behüten, mich schwach gezeigt haben?
Als ich die Copien las, war ich starr vor Staunen. Das also waren |die »Beweisstücke« gegen mich! Dies die Dokumente gegen meine Ehre! Denn es ist Dir sicherlich
nicht klar geworden, daß es sich in alledem um meine Ehre handelt, – daß Du meine
Ehre angreifst, indem Du mich als einen Menschen hinstellst, der heimlich lobt u.
öffentlich tadelt, der in seinen Briefen dem Freunde schmeichelt u. ihn dann
öffentlich – noch dazu, wie Du weißt, mit einem besonderen Vergnügen –
herunterreißt.
Das al
so waren die Dokumente! Ich las die Briefe u. fand, daß ich darin mit aller
Deutlichkeit
starke Bedenken gegen Dein
Werk formulirt hatte, – mit aller Deutlichkeit für Jedermann
außer für
|den durch Größengefühl und
Selb
stgefälligkeit jeden Urteils beraubten Autor. Jeder ruhig u. objektiv Urteilende
wird auch finden, daß meine
spätere öffentliche
Kritik nichts i
st als die Ausführung der in den
Briefen bereits kurz formulirten Bedenken. Jeder ruhig u. objektiv Urteilende wird
weiter finden, daß in die
sen Briefen ein Freund dem Freunde die Wahrheit
sagt,
×× daß der Freund aber gleichzeitig be
strebt i
st, dem Freunde nicht wehzutun, u.
daß er darum, damit der Tadel, den er auszu
sprechen
sich genötigt
sieht, nur ja nicht
verletze
verletze verletze,
d×× das Lob, das er
spenden kann, in möglich
st
starken Ausdrücken formulirt.
|Di
r↓e↓ großen Fehler, unter den
,↓en,↓ meiner An
sicht nach, Dein
Stück leidet,
i↓s↓ind in meinen Briefen klar gekennzeichnet. Du ha
st darüber hinweggele
sen u.
von meinen Briefen nur behalten, daß ich Dich mit
Grillparzer verglichen habe. Das i
st bezeichnend – aber nicht für mich,
sondern für Dich.
In meinen Briefen habe ich Dich gelobt. Und in meiner
Kritik? In meinen Briefen
steht: »Seit
Grillparzer hat man auf dem
Wiener Theater
solche
Verse nicht gehört.« In meiner
Kritik: »
In der Form wenigstens zeigt Schnitzler sich als ein würdiger Schüler der Meister (der Klassiker), denen er nacheifert. Daß Schnitzler diese Form sich anzueignen vermochte, deutet auf eine
künstlerische Selbsterziehung hin hin, die man bei
den deutschen Autoren der Gegenwart selten findet; es ist ein weiter, mühevoller,
ehrenvoller Weg vom ›Anatol‹ bis zum ›Schleier der
Beatrice‹. Das Drama spricht namentlich in seinen Versen – wohllautenden
Versen von wienerischer Weichheit – eine
vornehme Sprache.« An einer anderen
Stelle wird von »
prächtigen Versen« ge
sprochen, die dann citirt werden. Von
Beatrice wird ge
sagt, daß
sie »
ein
liebliches |Geschöpf ist, eine echt Schnitzlerische Mädchengestalt, von poetischem Schimmer
umflossen«. Von einer
Scene wird ge
sagt, daß
sie »
die bedeutendste des Stückes ist u. Schnitzlers
dramatische Begabung im hellsten Lichte zeigt«
etc.
Und von die
ser
Kritik wag
st
Du zu behaupten, daß
sie
doch Dein
Werk verreißt, während meine Briefe es
gelobt haben? Ich muß noch die Ein
schränkung machen, daß die lobenden Ausdrücke in
meinen Briefen
×××× stärker klingen, als in der
Kritik.
× Einen Grund dafür – das Be
streben des Freundes, mit möglich
st viel
|Lob den Tadel, den er aus
spricht, weniger
empfindlich zu machen – habe ich
schon angeführt. Ein anderer Grund i
st der, daß man
in einem Privatbrief
seine Ausdrücke nicht
so vor
sichtig abwägt, wie man dies tut,
wenn man in der Ausübung
seines kriti
schen Berufes,
××× in dem Bewußt
sein, daß man für jedes Wort die volle Verantwortung zu
übernehmen hat,
vor öffentlich
sich äußert. Ent
steht aus die
sem Grunde ein Wider
spruch zwi
schen
Privatbriefen des Kritikers u. der von ihm
|veröffentlichten Kritik,
so trifft die Verantwortung nicht den Kritiker,
sondern
den, der es ver
sucht,
P de
ssen Privatbriefe gegen ihn
auszu
spielen.
Im Übrigen aber habe ich ange
sichts der Briefkopien u. der
Kritik, die beide hier vor mir liegen, mit
aller Ent
schiedenheit zu erklären: Die Briefe loben nicht nur das
Stück,
sondern
sie
sprechen auch bereits
die Einwendungen aus, die, meiner An
sicht nach,
dagegen zu erheben
sind. Die
Kritik tadelt nicht nur das
St Stück,
sondern
|läßt ihm auch alle jene Anerkennung zuteil werden,
die
es, meiner An
sicht nach,
verdient. Es be
steht höch
stens in der
Nuance einiger
Ausdrücke, aber im We
sen kein Wider
spruch zwi
schen den Briefen u. der
Kritik. Und den Vorwurf, den
g Du gegen mich erhoben ha
st, daß ich als Freund wie
als Kritiker meine Pflicht gegen Dich verge
ssen habe, wei
se ich mit Entrü
stung
zurück. . . . .
Ich komme jetzt zum
|zweiten Fall, dem Fall der
»
Lebendigen Stunden«. Hier liegen leider
keine Dokumente vor, keine Briefe, von
denen Du Kopien hätte
st machen können. Hier handelt es
sich um mündliche Äußerungen,
die ich getan haben
soll. Würden
sie im genauen, beglaubigten Wortlaut vorliegen,
so
würden
sich die »Widersprüche« zwi
schen die
sen Äußerungen u. meiner
später
veröffentlichten
Kritik wahr
scheinlich eben
so aufklären, wie im
Falle der »
Beatrice«.
|Möglicherwei
se habe ich auch hier
Einwendungen formulirt, über die Du hinweggehört ha
st, wie Du über die gegen die »
Beatrice« in meinen Briefen hinweggele
sen ha
st. Ich habe nicht einmal meine
Kritik über die »
Lebendigen Stunden« zur Hand u. kann daher nicht
kon
statiren, ob
sie wirklich
so ohne jede Ein
schränkung tadelnd war, wie Du
behaupte
st. Denn ich habe die
se
Kri Besprechung in die
Sammlungen meiner Kritiken nicht aufgenommen. Warum nicht? Weil ich mir damals
sagte:
die
Kritik zu
schreiben, war
meine Pflicht;
|sie in mein Buch aufzunehmen, bin
ich nicht verpflichtet; u. ich habe
sie nicht aufgenommen, aus Rück
sicht auf den
Freund, über de
ssen
Werk sie
ungün
stig urteilte. In einem eigentümlichen Lichte er
scheint mir heut die
se Rück
sicht
auf den Freund, der Briefe von mir, in denen ich redlich be
strebt war, ein herzliches
freund
schaftliches Empfinden mit der Wahrheit in Einklang zu bringen, heranzieht, um
damit meine Charakterlo
sigkleit zu bewei
sen!
Es fehlen mir al
so für den Fall der »
Lebendigen
Stunden«
|alle Dokumente
, u. ich bin auf mein Gedächtnis angewie
sen. Die
ses
Gedächtnis
sagt mir, daß ich mich, nach der
Vorlesung im Walde zu
Welsberg, über die
Stücke
lobend geäußert habe. Als ich
sie dann auf der
Bühne sah u. ihre Schwächen klar erkannte, habe ich dem
Ausdruck gegeben. Mein
kriti
sches Gewi
ssen fühlt
sich durch die
sen »Wider
spruch« nicht im minde
sten
bela
stet. Denn Stücke
sind nicht dazu da, im Walde vorgele
sen,
sondern aufgeführt zu
werden; u.
ein jedes vor der Aufführung abgegebene
|Urteil über ein Stück kann immer nur ein Urteil mit Vorbehalt
sein. Wenn ich nach
der Aufführung über die »
Lebendigen Stunden«
ungün
stig geurteilt haben würde u. die
Stücke wären doch gut, hätte ich als Kritiker gefehlt. Da ich
die
Stücke aber nach wie vor
nicht für gut halte (von manchen Qualitäten abge
sehen, welche die er
sten haben, u.
abge
sehen auch von dem
sehr hüb
schen Einakter »
Literatur«), da überdies ihr geringer Erfolg auf der Bühne
mein das in meiner
Besprechung ausge
sprochene Urteil be
stätigt,
|bin ich als Kritiker
sicher nicht im Unrecht; u.
ich finde, daß es eine Lächerlichkeit i
st, gegen das öffentlich abgegebene
Urteil eines Kritikers, das er
genau u.
sachlich begründet hat, Äußerungen aus
spielen zu wollen, die er nach einer
Vorlesung im
Walde getan hat.
Ich habe mein Gedächtnis weiter ange
strengt u. kann mich an die Äußerung, die ich
weiter↓außerdem↓ getan haben
soll, daß ich nämlich bedaure, nicht
selb
st
solche
Stücke schreiben zu
können, nicht mehr erinnern. Aber ich will nicht in Abrede
stellen,
sie getan zu
haben.
|Warum
sollte ich auch nicht von
Stücken, die mir
gefielen, ge
sagt haben, daß ich bedaure,
sie nicht auch
schreiben zu können? Wenn
aber weiter behauptet wird, ich hätte ge
sagt, ich möchte mich »er
schießen«, weil ich
Solches nicht lei
sten kann,
so erkläre ich dies für eine
Unwahrheit.
J×××× Feststellung dies×× ×××××××
[2 Zeilen unleserlich]
. Ich
weiß, daß ich das nicht ge
sagt haben kann u. auch
nicht ge
sagt habe, weil ich weiß, daß ich mich nicht mit weibi
schem Schwul
st
|auszudrücken pflege,
sondern die Gewohnheit habe,
zu reden, wie ein Mann. . . . . . .
Lieber Freund, Du hast mir auch bei unserem letzten Beisammensein wieder jede Fähigkeit zum Kritiker abgesprochen. Diese Deine
Ansicht über mich ist mir seit Langem bekannt. Sie ist für mich gewiß nicht
belanglos. Denn ich habe nicht die Selbstsicherheit, die Du besitzest u. die Dich zu
dem Ausspuch veranlaßt, daß es |Dir gleichgiltig
ist, was die »wir Andern« über Dich schreiben. Mir
ist es gar nicht gleichgiltig, was die Andern über mich schreiben oder sagen. Wohl
habe ich künstlerische Weltanschauungen↓Anschauungen↓, von deren Richtigkeit ich unerschütterlich überzeugt bin. Aber ich prüfe
jedes noch so ungünstige Urteil über mich, ob es nicht vielleicht doch etwas Wahres
enthält, u. suche von jedem Andern, auch vom heftigsten Gegner, etwas zu lernen. Man
muß schon ein mit Erfolg aufgeführter dramatischer Autor sein, |um das Bewußtsein mit sich herumzutragen, daß
man von Anderen nichts mehr zu lernen habe. Bei ernst strebenden Menschen in anderen
Berufsarten wird man dieses Bewußtsein kaum wiederfinden.
Mir ist es nicht gleichgiltig, was die Andern von mir sagen, – u. ganz gewiß nicht
gleichgiltig, was ein alter Freund von mir denkt. Aber mit Deiner Mißbilligung meiner
Wirksamkeit als Kritiker habe ich mich ↓längst↓ abgefunden.
Ich habe mir gesagt, daß Deine u. mein Lebensweg so
weit auseinandergegangen sind, |daß Deine u. meine
Entwickelung eine so gänzlich verschiedene Richtung eingeschlagen haben, daß Du mich
eben nicht mehr verstehst u. verstehen kannst. Du siehst ja auch all’ das, worüber
ich als Kritiker zu urteilen habe, von einem ganz anderen Standpunkt an, als ich.
Du
bist selbst beteiligt, bist selbst Partei. Meine künstlerischen Überzeugungen haben
mich dazu geführt, Stellung gegen die die meisten der dramatischen Autoren unserer Generation, Stellung sogar gegen
manches Deiner Werke zu nehmen. |Wie darf ich da
von Dir erwarten oder gar beanspruchen, daß Du meine kritische Tätigkeit
billigst!
Ich habe es Dir also niemals verargt, daß Du mich für einen schlechten Kritiker
hältst. Ich habe allerdings, wenn ich mit Dir sprach u. von Dir so manche Anschauung
hörte, die ich für falsch halten muß, im Stillen Gott gedankt, daß ich nicht ein
Kritiker geworden bin, den Du für gut halten würdest.
|Deine Urteile über meine kritische Tätigkeit
haben mich also nie von Dir abgestoßen; u. ich war fest entschlossen, trotz alledem Dir eine Freundschaft zu erhalten, die nun schon mehr als zwanzig Jahre alt
ist, u. von der, so sehr wir auch innerlich
entfremdet sind, doch ein enormes u. herzliches Gefühl für Dich bei mir
zurückgeblieben ist. ×
Nun aber ha
st Du in un
serer letzten Unterredung im
Hause Deiner
Mutter in Deinen Angriffen gegen mich eine Grenze
über
schritten, die Du
|nicht über
schreiten
durfte
st. Von meinen Fähigkeiten als Kritiker darf
st Du
sagen, was Du will
st. In
die
ser Unterredung aber ha
st Du es ver
sucht, meine Ehre anzuta
sten. Und die
sen
Ver
such muß ich mit der äußer
sten Schärfe zurückwei
sen.
Die
Sprache nu Selb
st eine zwanzigjährige Freund
schaft gibt
Dir nicht das Recht zu einer Sprache,
Die↓die↓ Du in jener Unterredung Dir herausgenommen ha
st, gegen mich zu führen. Das
kann u. werde ich nicht
|dulden! Und es i
st
unehr unerhört, es i
st eine der bitter
sten Erfahrungen
meines Lebens, daß ich, nachdem ich in einem
schweren Lebenskampfe meine Ehre rein u.
flankenlos erhalten habe, mich nun gegen den älte
sten u. mir ein
st näch
sten Freund
zur Wehr
setzen
will muß, der meine Ehre
bef beflecken will. An jener Unterredung, in der
Du ×××× ich ××× ××× Du über mich, der ich als Ga
st im
Hause Deiner
Mutter weilte,
|×××××× hergefallen bi
st, wie über einen charakterlo
sen Lumpen, denke ich zurück mit
einer Mi
schung von Scham, Widerwillen u. Empörung; u. ich konnte nicht Ruhe finden,
ehe ich Dir die
sen Brief ge
schrieben, um Deine Anwürfe von mir abzu
schütteln, –
selb
st auf die Gefahr hin, daß die
ser Brief den Bruch un
serer zwanzigjährigen
Freund
schaft herbeiführen
sollte.
|Mit herzlichem Gruß
Dein
Paul Goldmann.