|Verehrtester Freund, eine Ahnung muss ich doch immer gehabt haben, dass wir einander einmal näher kommen, daß Sie mich sogar »loben« werden; denn es ist merkwürdig, mit welcher Praecision mir die einzelnen Etappen unsrer kurzathmigen Bekanntschaft im Gedächtnis geblieben sind. Ich weiss noch – »als ich zum ersten Mal dich sah« – das war in der akad. Lesehalle. Sie hielten eine Rede |und waren »scharf« – in einer Weisscharf! Ich befand mich in Ihrer Nähe und hatte die Empfindung als wenn Sie mich mit einem gewissen milden Sarkasmus betrachteten; Sie lächelten ironisch – und ich begann Sie zu beneiden. »Wer so reden und so lächeln könnte« dachte ich mir. Bald darauf hörte ich noch mehr von Ihnen: im Kaffehaus, das ich viel eifriger besuchte als die politischen Discussions- und Wahlabende |der Lesehalle, und wo Sie eines beträchtlichen Rufes als Dominospieler (hauptsächlich im blinden Domino, wie ich leider hinzusetzen muß) genossen. Einige Schöngeister sprachen übrigens bereits von Ihrer Bedeutung als dreiaktiger Lustspieldichter. Wollen Sie einer Beweis für meine literarhistorische Begabung? Ich weiss noch genau, daß Siegfried Wertheimer der erste war, der mir von dem Dichter Herzl sprach. |Bald darauf lernte ich sie persönlich kennen und las zwei Ihrer Stücke im Manuscript: Tabarin und ein zweites – hiess es nicht »die Aufgeregten«? Und wieder beneidete ich Sie – »wer solche Stücke schreiben könnte« – (damals schrieb ich nemlich ganz bestimmschlechtere Stücke als Sie!–) Aber die ganze Studentenzeit verstrich, ohne dass wir ein Verhältnis zu einander finden konnten, – offenbar |wie mir Ihre letzten Zeilen beweisen – weil ich – für Sie zu arrogant war! –
– In Kammer habe ich Sie dann gesprochen, als wir schon beide Doktoren waren; Sie waren von einem Kreis hübscher junger Frauen umgeben – und wieder habe ich Sie – hoffentlich nicht ganz ohne Grund – »beneidet«. Und auch damals lächelten Sie ironisch! – Und wieder verliess ich |Sie mit jener gedrückten Stimmung, die man Leuten gegenüber hat, die einem auf derselben Straße zwanzig Schritte weit vorauslaufen. An diese Erinnerung aber reiht sich eine von denen, die über das persönliche weit hinaus gehend, in einer Geschichte der modernen Literatur als kleingedruckte Anmerkung einen sichern Platz verdiente. Das neue Burgtheater |war noch im Bau; wie spazierten an einem Spätherbstabende vor dem Bretterzaun auf u. ab. Natürlich hatten wir uns zufällig getroffen – da es uns ja bis heute noch nicht gegönnt war, uns je absichtlich zu begegnen. Da sagten Sie, mit einem bescheiden erobernden Blick, der auf den emporsteigenden Mauern ruhen blieb: da komm' ich einmal hinein! |Ja, mein lieber Freund, damals wäre der Moment gewesen, mich für Ihr vielfaches ironisches Lächeln einmal pauschaliter mittelst eines grausen Hohnlachens zu revanchiren – ich blieb jedoch stumm; ich kann es nicht läugnen, Sie haben mir damals mehr imponirt als je. Sie werden begreifen, dass ich diese kleine Geschichte, welche von den Thatsachen zum Rang |einer Anekdote emporgehoben wurde, jedem Menschen erzähle, der den Namen »Theoder Herzl« ausspricht. Sie ist aber so wahrscheinlich, dass Sie alle Welt für erfunden hält. – Ich erinnere mich auch eines letzten Zusammentreffens mit Ihnen – auf irgend einem Ball, in einer Nacht, wie Sie schon lange, aber schon sehr lang ein berühmter Mann waren, |während ich, an mir, an meinem Beruf – an beiden! – verzweifelnd, von niemand eigentlich ernst genommen, meinen Ehrgeiz als »guter Gesellschafter« und demi mondainer (im Bourget’schen Sinn) befriedigen suchte. Ich war an jenem Abend besonders gut gelaunt und, wie ich glaubte, namenlos elegant. Da – erschienen Sie. Mit ruhigen überlegenen Augen prüften Sie meine Cravate – |und – vernichteten mich. Wissen Sie was Sie sagten –? »Und ich hielt Sie für einen – Brummel!!! –« Ich hatte die deutliche Empfindung in Ungemach gefallen zu sein. Es war klar, dass ich lernen mußte, meine Cravate besser zu knüpfen oder doch wenigstens auf einem andern Gebiet etwas hervorrragendes zu leisten. In kühnen Momenten vermass ich mich, beiden Zielen zuzustreben; – |vielleicht werde ich Sie auch einmal von meiner Cravatenknüpfbegabung zu überzeugen Gelegenheit haben? – Und wenn ich nun heute bedenke, daß Sie offenbar darum mit mir nicht verkehren konnten – weil ich Ihnen dünkelhaft vorkam! Und gar Ihnen gegenüber! Ich, der sich die causa Hirschkron aus der Leihbibliothek, das Neue von der Venus von einem guten Bekannten ausge|liehen – und der sich das »Buch der Narrheit« sogar gekauft hat – als es einen Tages in einer Auslage um 15 Xr. sichtbar wurde. Ich, der zwar vom »Flüchtling« behauptete, er könne nur durch die Burgtheaterbesetzung gehalten werden, der aber bei dem »Prinzen aus Genieland« die Ansicht verfocht, dassie in Carltheater zu Grund gespielt |würde! – Ich weiss nicht, ob es mir mit dem bisherigen gelungen ist, Ihnen gerade das zu sagen, was ich Ihnen sagen will: dass es wahrhaftig nicht viel Menschen auf der Welt gibt, auf deren Urtheil ich den gleichen Werth legen möchte wie auf das Ihre. Ermessen Sie daraus, wie sehr mich Ihre freundliche Anerkennung gefreut, und wie wohlthuend mich besonders |der warme und reiche Ton berührt hat, mit welchem Sie zu mir sprechen. Dass ich Ihnen aber auch persönlich sympathisch geworden bin, kann ich unmöglich der Bekanntschaft mit meinem Stück allein zuschreiben: da hat gewiss mein Freund Paul, der beste und liebeswürdigste der Menschen, das seinige dazugethan. Ich sage Ihnen für heute Adieu, |verehrter Freund, und bitte Sie, meiner herzlichen Ergebenheit für alle Zeit versichert zu sein.
Ihr Arthur Schnitzler
Wien 5. August 92.
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